Das Hochzeitsritual gibt Sicherheit - heute mehr denn je
Man könnte glauben, Hochzeiten seien out, denn der mobile Lebensstil, die heutige Erlebnisgesellschaft und der Bedeutungsverlust der Religion haben den Bund fürs Leben überflüssig gemacht. Weit gefehlt: Die Hochzeit boomt. Doch welche Bedeutung hat das feierliche Eheversprechen heutzutage wirklich?
13.05.2011
Von Gunther Hirschfelder und Karin Lahoda

Von der steifen Feier hat sich die Hochzeit zum Event gewandelt. Inzwischen ist sie sogar nachhaltig geworden, was zu ihrem Sinn ohnehin viel besser passt als rauschender Pomp. Der neueste Trend heißt nämlich "green wedding". Wer dabei aber auf Jutebeutel statt Handtasche, Schleier aus Bast statt Seide und Getreidebratling an der Stelle von Delikatessen tippt, liegt schon wieder falsch: Eine ganze Armada von Agenturen bietet ökologisch korrekte Hochzeiten an, mit Ökoweinen, die keinen Vergleich zum klassischen Bordeaux zu scheuen brauchen, mit regionalen Bioprodukten und naturnahen Locations.

Das freut selbst eher Konservative (links: Hochzeit in Frankreich), zumal das Thema durch die englische Traumhochzeit des Jahres Konjunktur hat. Sogar bei William und Kate wurde dem Aspekt ökologischer Nachhaltigkeit Beachtung geschenkt: Die Bäume, die als Hochzeitsschmuck in Londons Westminster Abbey Verwendung fanden, wurden in Kübel gestellt und nach der Trauung draußen wieder eingepflanzt.

Wie lässt sich dieser Befund aus kulturwissenschaftlicher Perspektive interpretieren? Da ist einmal die mediale Darstellung: Hochzeiten werden "eventisiert". Der Unterschied zwischen postmodernem Event und traditionellem Brauch liegt darin, dass die Ausgestaltung der Bräuche einer Norm folgt: Dorfhochzeiten hatten noch vor zwei Generationen einem klaren Muster zu folgen, und jeder wusste, wen er einzuladen und was er zu servieren hatte. Wer zu wenige Biervorräte eingekauft hatte, wurde ebenso gerügt wie jene, die es "übertrieben", wie man damals sagte.

Ein einfaches Essen für alle zu Hause genügt nicht mehr

Das sieht heute ganz anders aus, denn nun gelten zwar auch Normen, aber sie werden oft von den Medien und dem Handel bestimmt. Kartoffelsalat und Würstchen reichen da schon lange nicht mehr, und in einer Gesellschaft, die sogar das "Normalbenzin" abgeschafft hat, muss es immer etwas Besonderes sein.

Das ist in vielfacher Hinsicht bedenklich, da alles, was den Über-Normen nicht genügt, als mangelhaft empfunden wird. Wer mag schon in Anbetracht der Flut von Bildern, die pompöse Hochzeits-Events zeigen, seine Gäste in die bescheidene Dreizimmerwohnung bitten? (Links: ländliche Hochzeit in Moldawien)

Ebenso fallen die neuen Funktionen der kirchlichen Hochzeit auf. Schließt man da nicht den Bund fürs Leben vor Gott? Fast hat es heute den Anschein, als sei das Licht der Blitzgeräte wichtiger als das des Himmels. Da wird die Kirche schnell zur Kulisse und das Jawort zur Floskel reduziert.

Derartige Kritik greift aber zu kurz, verkennt sie doch die grundlegende Funktion von Ritualen sowie deren Abhängigkeit von kulturellen Erscheinungen. In einem gesellschaftlichen Veränderungsprozess, in dem das Äußere immer wichtiger wird, gilt die Trauung nicht mehr nur als formale Schließung des Bunds fürs Leben vor Gott. Hochzeitsrituale werden mitunter auch als Eintritt in eine glamouröse bürgerliche Welt genutzt.

Die jeweilige Ausgestaltung von Ritualen unterliegt zeitlichen Moden und Vorstellungen, sie dienen aber stets auf die ein oder andere Weise als Ordnungs- und Strukturierungsmuster. In Anbetracht allgemeiner Unsicherheit, wie etwa in Zeiten von Finanzkrisen, bieten Rituale Verhaltenssicherheit. Gerade dann vermitteln Orientierung und Halt im sozialen Rahmengefüge eine Geborgenheit, zu der in der christlich geprägten Welt die kirchliche Hochzeit als Sakrament dazugehört.

Die Unterschiede bleiben

Trotz gewisser gesellschaftlicher Vorgaben gab und gibt es soziale wie individuelle Neigungen, regionale und schichtspezifische Ausführungen, besonders was die Kleidung, das Essen als auch die Feierlichkeiten insgesamt betrifft. Beim Ritual des Ringtauschs etwa, der oft während der kirchlichen Trauung vorgenommen wird, zeigt sich, dass selbst vermeintlich Beständiges Veränderungen und Gebrauchsvarianten unterliegt.

So wurde im Hochmittelalter zunächst in höheren Schichten aus der einseitigen Ringgabe an die Braut als Zeichen der Treue ein gegenseitiger Ringwechsel, der sich allerdings zeitlich, regional und sozial sehr unterschiedlich verbreitete. Teils wurden die Ringe nur für den Hochzeitstag geliehen, was auf einen hohen Symbolcharakter hinweist.

Erst im 17. Jahrhundert setzte sich allmählich eine vornehmlich schlichte, wenig verzierte Form der Ringe durch. Unterschiedliche Handhabungen des Ringwechsels, Bedeutungszuschreibungen und des anschließenden Ringtragens existieren nach wie vor nebeneinander.

Die Hochzeit hat Zukunft

Form und Funktion unterliegen also vielfältigem Wandel, während der Hochzeit selbst nach wie vor gesellschaftlich große Bedeutung zukommt und sie dem Übergang von der ledigen Lebensphase in eine Ehegemeinschaft Ausdruck verleihen soll. Für das Phänomen Hochzeit kann man also optimistisch in die Zukunft blicken, wenn weiterhin eine Anpassung an kulturelle Begebenheiten stattfindet. Und noch bedeutsamer als die Zeremonie selbst ist ihre Nachhaltigkeit.

Was bleibt als Fazit? Der Wunsch nach beständiger Bindung ist in den verschiedensten Gesellschaften ein Bedürfnis, das noch einige Zeitalter überdauern dürfte. Der Übergang in den neuen Lebensabschnitt wurde und wird stets rituell gestaltet. Alles andere ist im steten Fluss.

Früher war nichts besser, nur anders und vertrauter. Aber je bedrohter soziale Gruppen und auch Individuen ihre Identität empfinden, desto stärker sind sie bestrebt, dieser Identität Ausdruck zu verleihen – vor allem im Kontext der Hochzeit.


Prof. Dr. Gunther Hirschfelder und Karin Lahoda M.A. arbeiten am Institut für Information und Medien, Sprache und Kultur der Universität Regensburg (Lehrstuhl für Vergleichende Kulturwissenschaft).