"Spiegel"-Redakteur muss den Nannen-Preis zurückgeben
Die Jury des Henri-Nannen-Preises hat dem "Spiegel"-Redakteur René Pfister die Auszeichnung für die beste Reportage aberkannt. Die Schilderung der Modelleisenbahn im Ferienhaus-Keller des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) beruhe "entgegen dem Eindruck der Leser und aller Juroren nicht auf der eigenen Wahrnehmung des Autors", befand die Jury.

Dies erfülle nicht die Anforderungen für die beste Reportage des Jahres. Der "Spiegel", der die Begründung für die Aberkennung im Internet veröffentlicht hat, kritisierte die Entscheidung am Montagabend scharf.

Pfister hatte den Preis am Freitag in Hamburg erhalten. Im Einstieg seines Textes "Am Stellpult" hatte er die private Seite Seehofers als Modelleisenbahner dargestellt und die Herrschaft über seine Miniaturwelt mit der über den Freistaat in Beziehung gesetzt. Der Autor räumte allerdings auf Nachfrage der Moderatorin Katrin Bauerfeind bei der Preisgala ein, dass er die Modellbahn im Keller nie selbst gesehen hat. Seine bis ins Detail gehenden Beschreibungen beruhten auf Erzählungen des Politikers über sein Hobby.

Glaubwürdigkeit von Pfisters Text in Frage gestellt

Aufgrund öffentlicher Kritik hatte sich die Preisjury, in der überwiegend Chefredakteure großer Zeitungen und Magazine sitzen, am Montagnachmittag zu einer Telefonkonferenz zusammengeschlossen. Die Glaubwürdigkeit einer Reportage erfordere es, dass erkennbar sei, ob Schilderungen durch eigene Beobachtung des Verfassers zustande gekommen seien oder sich auf eine andere Quelle stützten, hieß es in dem mehrheitlich gefassten Beschluss. Diese Quelle müsse dann benannt werden.

Die Jury betonte allerdings, dass sie keinen Zweifel an der Korrektheit von Pfisters Fakten habe. Von einer "Fälschung" könne keine Rede sein. Zudem besteht der weitaus größte Teil der Reportage aus eigenen Beobachtungen Pfisters, die er bei Begegnungen mit Seehofer gewonnen und zu einem "sprachlich wie dramaturgisch gelungenen Text" verarbeitet habe.

"Spiegel"-Redaktion kritisiert die Jury-Entscheidung

Die Chefredaktion des "Spiegels" nahm die Entscheidung "mit Unverständnis" zur Kenntnis. Pfister habe an keiner Stelle des Textes behauptet, selbst in dem Keller Seehofers gewesen zu sein, hieß es in einer Stellungnahme. In der Vergangenheit seien bereits öfter Geschichten mit dem Nannen-Preis ausgezeichnet worden, die szenische Rekonstruktionen enthielten. Jede Reportage bestehe nicht nur aus Erlebtem, sondern auch aus Erfragtem und Gelesenem.

Die Jury habe Pfister den Preis aberkannt, ohne ihn selbst anzuhören oder Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, kritisierte die "Spiegel"-Chefredaktion. Ein solcher Umgang mit einem "untadeligen Kollegen" widerspreche den Regeln der Fairness. Pfister selbst hatte am Wochenende erklärt, er sehe keinen Grund, den Preis zurückzugeben.

Insgesamt waren am Freitag 18 Preisträger geehrt worden. Das Magazin "Stern" und der Verlag Gruner + Jahr vergeben den Henri-Nannen-Preis für herausragende Leistungen im Print- und Onlinejournalismus.

epd