"Evangelischer Kirchenvater des 20. Jahrhunderts": Karl Barth
Vor 125 Jahren wurde der Schweizer Theologe, Exegetiker und Kämpfer gegen die Nationalsozialisten Karl Barth geboren. Sein Einfluss auf die Protestanten ist bis heute lebendig.
09.05.2011
Von Stephan Cezanne

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs verstand der junge Schweizer Pfarrer Karl Barth (1886-1968) die Welt nicht mehr. Er verzweifelte nicht nur am Ausbruch des Nationalismus, sondern auch an den theologischen Lehrern seiner Zeit: Berühmtheiten wie Adolf von Harnack erklärten sich im September 1914 in einem Manifest führender Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller mit der deutschen Kriegsführung solidarisch.

Unter anderem wegen dieses Ereignisses zerbrachen für Barth, wie er sich später erinnert, die bis dahin geltenden großen theologischen Systeme. Er wurde ein "geistiger Revolutionär", wie andere später sagten; für einige wurde er gar der "Kirchenvater des 20. Jahrhunderts". Vor 125 Jahren, am 10. Mai 1886, wurde Barth als Spross einer evangelischen Theologendynastie in Basel geboren.

Seine Skepsis wuchs vor allem gegenüber der liberalen Theologie und dem sogenannten Kulturprotestantismus - der bürgerlichen Theologie des 19. Jahrhunderts. Er entwickelte ab den 1920er Jahren zusammen mit Friedrich Gogarten, Rudolf Bultmann, Emil Brunner und anderen die "Dialektische Theologie", bei der die für ihn unüberwindbaren Gegensätze Gott und Mensch oder Zeit und Ewigkeit im Mittelpunkt standen.

"Genaues Hören auf die Bibel"

Barth brach radikal mit einer Theologie, die zwischen Gott und Mensch vermitteln oder den - aus seiner Sicht unendlichen - Abstand zwischen Gott und Mensch verringern wollte. Ab jetzt hieß es: "Gott ist Gott". Barth, der unter anderem in Bonn, Göttingen und Münster lehrte, spricht von Gott als dem "ganz Anderen". In letzter Konsequenz wird so auch jede von Menschen erdachte Religion zum Unglauben. Allein im genauen Hören auf die Bibel finden Menschen das Wort Gottes, war sich Barth sicher.

Diesen Grundgedanken führte er bis in die kleinsten Verästelungen in seinem Lebenswerk aus, der unvollendet gebliebenen "Kirchlichen Dogmatik". Ein Paradox seiner eigenen Theologie konnte Barth freilich nie ganz auflösen: "Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden." Barth - der als Junge gern Bücher zur Militärgeschichte las - füllte Tausende von Druckseiten, um diesen Widerspruch aus jedem Blickwinkel zu beleuchten.

Seine Neuinterpretation des Protestantismus löste auch in der katholischen Welt und der Ökumene ein breites Echo aus. Barths spekulativer Stil und seine gegenüber der Bibel weitgehend unkritische Einstellung brachte ihm jedoch auch Kritik ein - so gilt er als Vertreter der "Neo-Orthodoxie".

Widerstand gegen die NS-Ideologie

Doch weniger durch seine schwer vermittelbare Theologie als durch seinen Kampf gegen die Nationalsozialisten ist Barth bis heute in Erinnerung geblieben. Er ging als geistiger Vater der Barmer Theologischen Erklärung in die Kirchengeschichte ein. Historiker werten die Thesen, die am 31. Mai 1934 in Wuppertal-Barmen verabschiedet wurden, als moralische Legitimation für den Neuaufbau des deutschen Protestantismus nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Barmer Erklärung hatten sich evangelische Christen von der Ideologie des Nazi-Staates abgegrenzt. Das zentrale Papier des Kirchenkampfes wurde weltweit auch zum Vorbild für christliche Befreiungsbewegungen in totalitären Staaten.

[listbox:title=Leseempfehlungen[Karl Barth: "Der Römerbrief (Fassung 1922)", Theologischer Verlag Zürich 1999, 581 S., 18 Euro##Rolf-Joachim Erler (Hg.): "Karl Barth/Charlotte von Kirschbaum: Briefwechsel 1925-1935", Theologischer Verlag Zürich 2008, 450 S., 110 Euro##Michael Trowitzsch: "Karl Barth heute", Vandenhoeck & Ruprecht 2007, 565 S., 44,95 Euro]]

Viele sind heute nicht nur am Theologen, sondern auch am Menschen Barth interessiert, besonders an der Dreiecksgeschichte zwischen Barth, seiner Ehefrau Nelly, mit der er fünf Kinder hatte, und der dreizehn Jahre jüngeren Sekretärin Charlotte von Kirschbaum. Sie war vielleicht der wichtigste Mensch seines Lebens. Gegen alle Widerstände und moralische Empörung integrierte er "Lollo" als Lebensgefährtin in die Familie.

Eine Studie der Autorin Suzanne Selinger zog Charlotte von Kirschbaum aus dem Schatten des großen Gelehrten. Selinger beschreibt sie als Denkerin und Feministin, die das Werk Barths wesentlich mitbeeinflusste.

Freude an "lieblichen Frauengestalten"

Barth war den guten Dingen des Lebens nie abgeneigt: "Liebliche Frauengestalten, auch einen guten Tropfen und eine dauernd in Brand befindliche Pfeife weiß ich immerhin noch bis auf diesen Tag zu schätzen", schrieb er an Carl Zuckmayer.

Zugleich polarisierte er sein Leben lang. In seinen späten Jahren warf man ihm zu wenig Distanz zum Kommunismus vor. Schweizer Politiker gingen auf Abstand. Viele erinnerten sich wieder an den "roten Pfarrer" Barth, der ab 1911 in der kleinen Bauerngemeinde Safenwil im Aargau Arbeiter im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne unterstützt hatte.

Heute gilt Barth, der am 10. Dezember 1968 in Basel starb, als einer der bedeutendsten evangelischen Theologen. Der einstige Bundespräsident Johannes Rau (1931-2006) gab einmal eine der vielen Anekdoten um den Gelehrten zum Besten. So soll Barth gefragt worden sein: "Herr Professor, werden wir droben unsere Lieben wiedersehen?" Seine Antwort: "Ja, aber die anderen auch."

epd