Darf man sich über die Tötung des Terroristen freuen?
Ein Massenmörder ist tot. Die Nachricht von der Erschießung des Al-Kaida-Chefs Osama bin Ladens löste am Montag weltweit große Emotionen aus: Jubel, Erleichterung, auch Betroffenheit. Sogleich begann eine Diskussion über die Frage, ob Freude die richtige Reaktion auf den Tod eines Menschen sein könne. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich entsprechend geäußert hatte, steht in der Kritik. Wir baten den Hamburger evangelischen Theologen und Sozialethiker Volker Stümke um eine Stellungnahme zu dem brisanten Thema. Die Bewertung der Tötung, schreibt er, hänge wesentlich davon ab, ob man die Haltung der USA nachvollziehe, man befinde sich im "Krieg gegen den Terrorismus".

Die Nachricht, dass der Terrorist Osama bin Laden getötet worden sei, erfuhr ich am Montag in den Frühnachrichten. Sie hat in mir das Gefühl der Erleichterung hervorgerufen. Sicherlich wird das den Kampf beziehungsweise Krieg gegen den Terrorismus nicht beenden, aber immerhin gibt es einen führenden Verbrecher weniger. Und mehr als kleine Erfolge wird man bei der Bekämpfung des Terrorismus nicht erwarten können. Manche Reaktionen auf diese Nachricht und auf dieses Ereignis haben hingegen bei mir Verwunderung und sogar Missmut hervorgerufen, weil sie einseitig und übertrieben sind.

Gefühle der Pietät

Gefühle sind spontan, ihre Artikulation ist stark durch die jeweilige Kultur geprägt. In unserer Kultur ist der (gewaltsame) Tod eines Menschen sicherlich kein Grund zur Freude. So waren wir entsetzt über Menschen in Palästina, die am 11. September 2001 tanzten. Daher halte ich aber auch die Äußerung der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich über den Tod Bin Ladens freute, für sprachlich unangemessen. Allerdings kann man über den Tod eines Menschen durchaus erleichtert sein, das gilt nicht nur für Privatpersonen, sondern auch für eine Kanzlerin. Doch sind Freude und Feiern nicht dasselbe; auch die Replik der Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt erscheint mir überzogen.

Töten im Gefecht

Die ethische wie rechtliche Bewertung der Tötung Osama bin Ladens hängt wesentlich davon ab, ob man die Behauptung der USA, sie befinde sich in einem Krieg gegen den Terrorismus ("war on terrorism"), als Metapher bezeichnet, die jedoch völkerrechtlich nicht gedeckt sei, oder ob man sie akzeptiert, so dass es sich zwar um eine neue Form, aber eben eines Krieges handelt. Wer überzeugt ist, hier finde kein Krieg statt, der muss die Tötung Bin Ladens eindeutig verurteilen. Mehr als ein "ceterum censeo" gegen diese Metapher und damit eine sehr grundsätzlich bleibende Positionierung muss dann nicht gesagt werden: Niemand darf – noch dazu in einem anderen Land – Menschen töten.

Meint man hingegen, dass es sich um eine neue Form von Krieg handele, dann stellt sich die Frage im Rahmen des "ius in bello", also der Verhaltensregeln während eines Krieges. Ich weiß nicht, was genau dort vorgefallen ist, ob sich Bin Laden und seine Begleiter gestellt oder ob sie Widerstand geleistet und geschossen haben. Aber dass es grundsätzlich in einem Krieg dazu kommt, dass Menschen getötet werden, verwundert mich nicht. Auch nicht, dass Angriffe beziehungsweise militärische Aktionen gezielt vorgenommen werden – ja, was denn sonst? Und dass die Begleiter wie Begleiterinnen Bin Ladens mit dem Risiko leben mussten, Ziel eines Angriffs zu werden, halte ich für schlicht selbstverständlich.

Ich kann diesen Streit nicht entscheiden. Will man die konkrete Situation ernst nehmen und nicht nur die Grundsatzkritik wiederholen, dann liegt es methodisch nahe, so zu tun, als ob ein Krieg stattfinde. Das bedeutet nicht, diesen Krieg auch zu legitimieren, vielmehr gilt nach wie vor, dass Kriege (nach Gottes Willen) gar nicht erst sein sollen! Aber wenn man gegen internationale Terroristen kämpft und meint, dies mit dem Mittel Krieg tun zu sollen, dann lässt sich tödliche Gewaltanwendung nicht ausschließen.

Verhaften wäre besser gewesen

Gleich wie man die Rede vom Krieg gegen den Terrorismus bewertet: Immer gilt, dass es besser gewesen wäre, man hätte bin Laden verhaftet, um ihn dann einem Gericht zu überstellen. Allerdings stellt sich die Folgefrage, welcher Gerichtshof denn zuständig sei. Aus pragmatischer Sicht muss zudem die unklare Situation bedacht werden: Hat er Widerstand geleistet und sich einer Festnahme entzogen? Es gibt Fälle, in denen man einen Verbrecher nicht verhaften kann, sondern ihn entweder laufen lassen oder töten beziehungsweise zumindest auf ihn schießen muss. Wer weiß, ob ein solcher Fall vorlag? Weitaus problematischer als diese Faktenfrage erscheint mir aber die Deutung der Tötung.

Gerechtigkeit und Rache

Der Tod Bin Ladens ist schon durch Barack Obama, den Präsidenten der USA, in den Kontext von Gerechtigkeit gestellt worden, der angeblich Genüge getan wurde. Damit können zwei Sachverhalte angesprochen worden sein, die ethisch unterschiedlich zu beurteilen sind.

Zum einen gehört Gerechtigkeit in den Kontext von Gerichtswesen und Strafe. Zwar kann für mich als Christ, der die Todesstrafe ablehnt, das Töten von Menschen nicht gerecht sein. Wohl aber ist es gerecht, wenn ein Verbrecher bestraft wird. Allerdings sollte die "irdische" Strafe einem "weltlichen" Gericht vorbehalten bleiben – doch hier kann es faktisch Ausnahmen geben, nämlich dann, wenn es zu einem Gefecht kommt. Genau das ist Osama bin Laden den Berichten folgend zugestoßen. So lange ich davon ausgehe, dass bin Laden ein gewalttätiger Terrorist war, der sich der Festnahme entzogen hat, empfinde ich weder Trauer noch Mitgefühl für ihn oder sein Begleitpersonal, auch wenn es aus rechtlicher und politischer Perspektive besser gewesen wäre, er wäre von einem Gericht verurteilt worden.

Zum anderen kann der Ruf nach Gerechtigkeit mit den Begriffen der Rache und der Vergeltung sowie mit Ressentiments verbunden werden. Wer sagt, der Tod sei die gerechte Strafe gewesen, weil bin Laden böse war, und wer ihm wünscht, er möge in der Hölle schmoren, sollte an Römer 12,19 und an Matthäus 7,1 erinnert werden: Rache ist nicht Sache des Menschen – schon gar nicht in einem aufgeklärten Rechtsstaat. Nicht das Zurückschießen in einem Gefecht, wohl aber solche ideologische Aufladung und überhöhte Rechtfertigung des Geschehenen stellt die Aktion auf dieselbe Ebene wie die Verbrechen der Terroristen.


Dr. Volker Stümke (50) ist außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal-Bethel und Dozent für evangelische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Zudem leitet er an der Akademie das Internationale Forum Berufsethik für militärische Führungskräfte.