Damit reagierte das höchste deutsche Gericht auf die Rechtsprechung des europäischen Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg (EGMR), der die deutsche Praxis mehrfach beanstandet hatte. Höchstgefährliche Straftäter dürften zwar unter strengen und nachzuweisenden Bedingungen vorerst weiterhin verwahrt werden, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Bis spätestens 31. Mai 2013 müsse der Gesetzgeber aber die Sicherungsverwahrung grundlegend neu regeln. Die Grundrechte der Beschwerdeführer würden durch die geltenden Vorschriften zur Sicherungsverwahrung verletzt.
Zwei Jahre Übergangsfrist
Die bisherigen Regelungen erfüllten nicht die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen, sagte Voßkuhle. Damit seien alle Vorschriften des Strafgesetzbuches und des Jugendgerichtsgesetzes über die Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung nicht mit dem Freiheitsgrundrecht der Untergebrachten vereinbar. Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung spätestens bis zum 31. Mai 2013 dürfen die für verfassungswidrig erklärten Vorschriften noch angeordnet werden.
Bei den sogenannten Altfällen dürfe die Sicherungsverwahrung nur noch dann angeordnet werden, "wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten" drohe und der Straftäter an einer psychischen Störung leide. Dies müsse aber von den Vollstreckungsgerichten grundlegend geprüft werden, ansonsten müssten die betroffenen Personen freigelassen werden, sagte Voßkuhle.
Nur als letztes Mittel zulässig
Der Gesetzgeber muss nun ein grundlegend neues Gesamtkonzept vorlegen, in dem die Sicherungsverwahrung nur als letztes Mittel angeordnet und vollzogen werden darf. Therapeutische Behandlungen müssen schon während des Strafvollzugs zeitig beginnen und intensiv vollzogen werden, "dass sie möglichst schon vor dem Strafende abgeschlossen werden". Um ein rechtliches "Vakuum" zu vermeiden, gelten die verfassungswidrigen Regelungen noch bis Ende Mai 2013. Sonst müssten alle gefährlichen Straftäter sofort freigelassen werden, "was Gerichte, Verwaltung und Polizei vor kaum lösbare Probleme stellen würde", sagte Voßkuhle.
Das Bundesverfassungsgericht hatte über vier Beschwerden von Straftätern zu entscheiden, die wegen schwerer Sexualdelikte, Raubes und Mordes verurteilt wurden und bei denen die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. In allen vier Fällen müssen die Bundesrepublik und die jeweils betroffenen Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen die Kosten für die Auslagen der Beschwerdeführer jeweils zur Hälfte tragen.
Aktenzeichen: 2 BvR 2365/09, 2 BvR 740/10, 2 BvR 2333/08, 2 BvR 571/10, 2 BvR 1152/10