Mordbefehle aus Mannheim? Prozessbeginn in Stuttgart
An diesem Mittwoch beginnt in Stuttgart der Prozess gegen zwei Ruander. Ihnen werden Massaker, Vergewaltigungen und der Einsatz von Kindersoldaten im Osten des Kongo vorgeworfen.
03.05.2011
Von Elvira Treffinger

Die deutsche Justiz geht gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher aus Afrika vor. An diesem Mittwoch beginnt vor dem Oberlandesgericht Stuttgart ein Prozess gegen zwei Ruander, die seit rund 20 Jahren in Deutschland leben. Den beiden Anführern der Hutu-Miliz FDLR werden Massaker, Vergewaltigungen und der Einsatz von Kindersoldaten im Osten des Kongo zur Last gelegt. Die deutsche Justiz betritt mit dem Verfahren Neuland. Es ist der erste Prozess nach dem Völkerstrafgesetzbuch, das 2002 in Kraft trat.

Hunderte Todesopfer

Angeklagt sind der promovierte Ökonom und FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka, 47, und sein Vize, der Wirtschaftsingenieur Straton Musoni, 49. Beide haben in Deutschland studiert. Die Anklageschrift der Generalbundesanwaltschaft listet monströse Taten mit mehr als 200 Toten auf: Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 26 Fällen und Kriegsverbrechen in 39 Fällen, verübt 2008 und 2009.

Die FDLR ("Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas") wird als ausländische terroristische Vereinigung eingestuft, die Murwanashyaka von Mannheim aus gesteuert haben soll. Musoni lebte in Neuffen bei Stuttgart. Seit dem 17. November 2009 sind beide in Untersuchungshaft. Bei einem Schuldspruch droht ihnen lebenslänglich.

Die FDLR steht in den kongolesischen Unruhe-Provinzen Nord- und Süd-Kivu für Angst und Schrecken, wie Menschenrechtsorganisationen seit langem beklagen: Die Milizionäre erpressen Schutzgeld und Wegezoll, kontrollieren Minen und terrorisieren die Bevölkerung mit brutaler Gewalt, um ihre Macht zu sichern. Gegründet wurde die Gruppe von Hutu-Extremisten, die für den Völkermord 1994 in Ruanda verantwortlich waren und danach in den Kongo flüchteten.

Ermittlungen 2007 eingestellt

Murwanashyaka lebt seit 1986 in Deutschland, 2000 bekam er Asyl, 2001 wurde er zum Vorsitzenden der FDLR gewählt. Abgefangene E-Mails, SMS-Botschaften und Funksprüche belegen offenbar, dass er die Gräueltaten seiner Milizionäre gelenkt hat. "Die FDLR changiert zwischen Mafia-Struktur und Terrororganisation", sagt Ilona Auer-Frege vom Ökumenischen Netz Zentralafrika, das von kirchlichen Werken getragen wird. Das politische Ziel, die Macht in Ruanda zurückzuerobern, sei fast verloren gegangen.

Menschenrechtler kritisieren, dass die beiden mutmaßlichen Warlords in Deutschland unbehelligt blieben, obwohl UN-Stellen Sanktionen verhängten. Zwar belegten die deutschen Behörden Murwanashyaka mit dem Verbot politischer Betätigung und leiteten den Entzug seines Asylrechts ein. Erste Ermittlungen wurden aber 2007 eingestellt. Dann halfen Menschenrechtler, Zeugen bei verdeckten Ermittlungen in Afrika zu finden - und zu schützen.

Auer-Frege engagierte 2009 einen Mitarbeiter, der drei Monate lang Material über die FDLR sammelte, meist aus allgemein zugänglichen Quellen, über Internet und Telefon. Als Ergebnis der "Fleißarbeit" übergab sie im Sommer 2010 den Ermittlern in Karlsruhe drei dicke Aktenordner. "Das hat großen Eindruck gemacht und das Verfahren beschleunigt", sagt sie. Wenige Monate später stand die Anklage.

Prozessverlegung nach Den Haag gefordert

"Wir sind der Meinung, dass der Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof geführt werden muss", sagt Murwanashyakas Münchner Verteidigerin Ricarda Lang. Vor dem Tribunal in Den Haag wartet derzeit ein weiteres Führungsmitglied der FDLR auf seinen Prozess: Der in Frankreich verhaftete Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana.

Das Völkerstrafgesetzbuch verschärfte auch die Verantwortlichkeit von Führungspersonen: Sie sind für die Taten ihrer Milizionäre nicht nur dann verantwortlich, wenn sie sie angeordnet haben, sondern auch, wenn sie sie gekannt und nicht verhindert haben. Es spricht gegen Murwanashyaka, dass er sich 2008 in einem Fernsehinterview in Deutschland brüstete, die FDLR sei straff organisiert. "Ich weiß ganz genau, was passiert", sagte er.

Anwältin Lang wirft dennoch die Frage auf, ob ihr Mandant das Geschehen in den kriegerischen Wirren in den kongolesischen Wäldern hätte verhindern können. "Dort sind auch andere Milizen tätig." Bisher sind für den Prozess keine Zeugen aus Kongo oder Ruanda benannt. "Wir lehnen uns erst mal zurück und sehen, wie unserem Mandanten die Vorwürfe nachgewiesen werden sollen", sagt die Verteidigerin dem epd. "Wir können ja Beweisanträge stellen bis zum Schluss."

Strafverfolgung in Deutschland nicht immer zwingend

Das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) von 2002 regelt die Strafbarkeit schwerster Verbrechen gegen das Völkerrecht in Deutschland. Dazu gehören Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Für diese Taten gilt das Weltrechtsprinzip ohne Einschränkungen, sie unterliegen also immer dem deutschen Strafrecht, auch wenn sie im Ausland verübt wurden und weder Opfer noch Tatverdächtige Deutsche sind.

Mit dem VStGB passt sich das deutsche Strafrecht dem 1998 beschlossenen Regelwerk des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag an. Dem Gesetz zufolge ist ein militärischer Befehlshaber oder anderer Vorgesetzter auch dann für Taten seiner Untergebenen verantwortlich, wenn er es trotz Kenntnis unterlassen hat, sie daran zu hindern.

Auch nach dem Weltrechtsprinzip ist eine Strafverfolgung in Deutschland nicht immer zwingend. Das gilt etwa, wenn bei einer Tat keinerlei Bezug zur Bundesrepublik besteht und mutmaßliche Täter sich nicht in Deutschland aufhalten. Generell räumt das Gesetz der Justiz derjenigen Länder einen Vorrang ein, in denen die Taten geschahen oder die mutmaßlichen Täter leben, ebenso internationalen Gerichten. Viele Krisenländer haben aber kein funktionierendes Rechtssystem.

Verfolgt werden nur Straftaten, die seit 2002 begangen wurden

Als Völkermord werden Morde und andere schwere Gewalttaten bezeichnet, die mit der Absicht begangen werden, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe zu zerstören. Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind systematische Angriffe auf die Zivilbevölkerung, wozu neben Mord, Folter und Geiselnahme auch Vergewaltigungen und Vertreibungen zählen. Zu Kriegsverbrechen gehören Gewalt und Zwangsmaßnahmen gegen Zivilisten in einem bewaffneten Konflikt, auch die Rekrutierung von Kindersoldaten unter 15 Jahren.

Für Ermittlungen zu Völkerrechtsverbrechen ist die Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof zuständig. Das Gesetz gilt nur für Straftaten, die nach seinem Inkrafttreten am 30. Juni 2002 begangen wurden. Auf den Weg gebracht hat das VStGB die damalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) in der rot-grünen Koalition.

epd