US-Pastor: Widersprüchliche Gefühle nach Osamas Tod
Offizielle Stellungnahmen US-amerikanischer Kirchen zum Tode von Osama bin Laden liegen noch nicht vor. Noch während der Fernsehansprache von Präsident Barack Obama äußern sich bereits Pastoren aus den USA zum Geschehen. Auch wenn amerikanische Medien Triumpfgefühle zeigen, ruft Pfarrer Robb McCoy zur Besinnung und zum Gebet auf.

"USA! USA!": Soll ich das jetzt freudig skandieren? Sollte ich meine Flagge schwingen und meine Faust nach oben recken? Etwas Champagner öffnen, ein Hupkonzert mit meinem Auto veranstalten und ein Feuerwerk zünden? Denn gerade hörte ich in den Nachrichten, dass Osama bin Laden tot ist. Ich bin mir unsicher, wie ich mich verhalten soll? Sollte ich mich riesig darüber freuen? Soll ich stolz darauf sein? Kann ich mich nun sicherer fühlen? Oder sollte ich traurig sein?

Stillt der Tod meinen Schmerz?

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bin ich mir sehr unsicher, wie ich mich fühlen soll. Ich erinnere mich noch an das taube Gefühl der Traurigkeit, dass die Anschläge vom 11. September bei mir hervorriefen. Ich erinnere mich, wie ich mir die Augen trocken weinte und ich für Stunden an den Nachrichtensendungen des Fernsehens klebte. Ich erinnere mich meines Ärgers, meiner Traurigkeit und der Verwirrung. Nun ist bin Laden tot. Solle ich deswegen glücklich sein? Stillt der Tod dieses kranken und verirrten Mannes meinen Schmerz?

Ich denke daran, dass die USA als Antwort auf die schrecklichen Anschläge zwei Kriege geführt hat, Billionen von Dollar ausgegeben hat, die Wirtschaft im Chaos versinkt und Tausende tot sind. Wird bin Ladens Tod unsere Soldaten wieder in die Heimat bringen? Werden sie nun sicherer sein, wenn sie noch auf fremden Boden schlafen?

Der amerikanische Präsident wird gleich im Fernsehen sprechen. Soll ich stolz sein, dass ich ihn gewählt habe? Soll ich nun diese Präsidentschaft höher wertschätzen? Welchen Anteil hatte der Präsident an bin Ladens Tod?? Ich bin mir jedoch ziemlich sicher, dass mir unsere Politiker (sowohl die Republikaner als auch die Demokraten) erklären werden, wie wir uns nun zu fühlen haben. Und mein Gefühl sagt mir, sie werden uns ganz andere Dinge erzählen.

Ich denke an meinen muslimischen Freund

Am 12. September 2001, einen Tag nach den Anschlägen, kaufte ich mir eine amerikanische Fahne und hängte sie an mein Balkonfenster. Ich rief einen meiner muslimischen Freunde an. Ich hoffte, dass er sicher war, denn ich sorgte mich, dass man ihm Gewalt antun würde, weil er in einer Kirche zum Gebet gegangen war. Wird er heute Nacht wieder von Gewalt bedroht sein?

Heute Nacht kann ich nur eins mit Sicherheit sagen, dass ich dankbar bin, dass amerikanische Soldaten ihr Leben zu meinem Schutz eingesetzt haben. Ich bin dankbar, dass jemand anders einen Auftrag erledigt hat, den selbst auszuführen ich mir niemals vorstellen konnte. Ich bete für die amerikanischen Soldaten, die uns weiterhin schützen werden. Ich bete für diejenigen, die nun wegen des Todes von bin Laden in größerer Gefahr schweben.

Mehr als alles andere bete ich um Frieden. Osama bin Laden ist heute gestorben. Nur sehr selten bin ich der Meinung, dass man mit Kriegswaffen dem Frieden ein bisschen näher kommen kann. Heute haben wir einen Schritt in diese Richtung getan – oder doch nicht? Es ist schwer zu wissen, wie groß dieser Schritt war. Ein Mann, der sein Leben dem Bösen geweiht hat – Unschuldige zu töten und dies als Willen Gottes auszugeben – ist tot. Ich bete, dass niemand mehr sterben muss, um die Freiheit zu verteidigen.


Reverend Robb McCoy ist Pastor an der Riverside United Methodist Church in Moline im US-Bundesstaat Illinois. Dieser Artikel war einer der ersten Blogbeiträge amerikanischer Pfarrer zum Tode von Osama bin Laden und ging noch am Sonntagabend (Ortszeit) während der Fernsehansprache von Präsident Barak Obama online. Den englischen Originalbeitrag finden Sie hier. Die Übersetzung stammt von Ralf Peter Reimann.