Bischof Ulrich, glauben auch Protestanten an Selige und Heilige?
Ulrich: Wir Protestanten glauben nicht an Selige oder Heilige – sondern wir glauben daran, dass der Geist Gottes Menschen die Kraft verleiht, von ihrem Glauben Zeugnis abzulegen. Und da gibt es nun eine reiche Tradition von Menschen, die Vorbilder des Glaubens sind und an denen die Gnade Gottes sichtbar wird. Die Katholiken nennen sie "Heilige". Wir erinnern an sie. Wir achten sie hoch. Aber wir verehren sie nicht.
War das schon immer so?
Ulrich: Im Protestantismus war das schon zur Zeit der Reformation so. Lassen Sie mich doch einmal die Confessio Augustana von 1555, eine der wichtigsten Bekenntnisschriften der Lutherischen Kirche, zitieren. Dort heißt es: "Vom Heiligendienst wird so gelehrt, dass man der Heiligen gedenken soll, damit wir unseren Glauben stärken, wenn wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren und auch wie ihnen durch den Glauben geholfen worden ist. Außerdem soll man sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen, ein jeder in seinem Beruf. Aus der Heiligen Schrift kann man aber nicht beweisen, dass man die Heiligen anrufen oder Hilfe bei ihnen suchen soll."
Was heißt das konkret?
Ulrich: Im Unterschied zur römisch-katholischen Kirche bitten wir die Heiligen nicht um Fürsprache bei Gott. Wir kennen keine Heiligenlitanei, wie in der katholischen Messe, wo es etwa heißt: "Heiliger Petrus, bete für uns...". Aber wir pflegen eine Praxis der Erinnerung an die Menschen, die für uns wichtige Glaubenszeugen sind. Deswegen sind zum Beispiel Kirchen nach Dietrich Bonhoeffer oder Martin Luther King benannt, oder auch nach Martin Luther oder Ansgar, dem Apostel des Nordens.
Wo ist da der Unterschied zu einer Verehrung?
Ulrich: Verehren und Anbeten bedeutet für mich, dass ich bestimmten Menschen zuspreche, nach ihrem Tod eine besondere Nähe zu Gott zu haben. Das sieht man etwa im Petersdom in Rom ganz deutlich: Die Särge von Päpsten, die selig oder heilig gesprochen worden sind, werden aus der Krypta herausgeholt und in der Nähe des Altars erneut beigesetzt. Das glauben wir nicht. Für uns ist Jesus Christus der einzige Vermittler zwischen den Menschen und Gott, da braucht es niemanden neben ihm.
Was halten Sie dann von der Seligsprechung Johannes Paul II.?
Ulrich: Papst Johannes Paul II. war sicher ein außergewöhnlicher Christenmensch, der uns in seinem Glauben auch heute ein Vorbild ist. Das gilt besonders für seinen Kampf gegen einen christentumsfeindlichen Kommunismus, aber auch, was seinen Umgang mit seiner Krankheit und sein Sterben betrifft. Als sehr problematisch erscheint mir dagegen das Verfahren, dass nun eine scheinbare Wunderheilung geprüft werden musste und ihm zugeschrieben wird. Damit verstellt die katholische Kirche meines Erachtens nach den Blick auf Gott: Schließlich ist er der Begründer aller Wunder – und nicht ein Heiliger, der ja auch nach katholischer Lesart nur um Wunder bitten kann.
Wenn im Juni die Lübecker Märtyrer selig gesprochen werden, gibt es mit Karl Friedrich Stellbrink auch einen protestantischen Geistlichen, an den erinnert wird. Wie gehen Sie damit um?
Ulrich: Wir sind darüber mit der katholischen Kirche von Anfang an im Gespräch gewesen. Natürlich ist auch Stellbrink für uns ein wichtiger Glaubenszeuge, auch wenn er mit seinem Nationalismus auch manche Schattenseite hatte. Aber es ist ja tatsächlich so, dass die ökumenische Bewegung der Nachkriegszeit ganz wesentlich aus den gemeinsamen Erfahrungen verfolgter Katholiken und Protestanten in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten hervorgegangen ist. Deswegen freue ich mich, dass die römischen Kardinäle Amato und Kasper an einem evangelischen Gottesdienst am Vorabend der Seligsprechung teilnehmen werden, bei dem wir besonders Karl Friedrich Stellbrinks gedenken werden. Während der katholischen Seligsprechungsfeier der Kapläne werde ich in einem geistlichen Wort meinerseits an ihn erinnern.
Gerhard Ulrich (60) ist Vorsitzender der Kirchenleitung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche. Das Interview erschien am 23. April im Flensburger Tageblatt.