TV-Tipp des Tages: "Die Spätzünder" (ARD)
Rochus Siwak, genannt Rocco, einen ziemlich erfolgloser Rockmusiker und Lebenskünstler, verschlägt es in ein Seniorenheim, wo er eine Haftstrafe als sozialen Dienst abdienen soll.
29.04.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Die Spätzünder", Mittwoch, 4. Mai, 20.15 Uhr im Ersten

Joachim Fuchsberger hat sich sehr über den Titel geärgert. "Die Spätzünder": Das findet er despektierlich. In Österreich hieß der Film "Live is Life". Der Qualität dieser deutsch-österreichischen Koproduktion mit Jan Josef Liefers tut das indes keinen Abbruch. Er spielt den verkrachten Rock-Musiker Rocco, der Sozialstunden im Wiener Seniorenheim ableisten muss. Zunächst fühlt er sich ziemlich deplaziert, zumal sich die direkte Vorgesetzte ausgerechnet als seine zickige Nachbarin Marina (Ursula Strauss) entpuppt, die sich immer über die laute Musik beschwert. Aber dann stellt Rocco fest, dass die Alten gar nicht so scheintot sind, wie die extrem unterkühlte Heimleiterin mit dem völlig unpassenden Namen Glück (Petra Morzé) gern glauben macht.

Degenhard Schagowetz (Fuchsberger) zum Beispiel ist noch höchst umtriebig und versorgt die Mitbewohner der Residenz gegen Glücks ausdrückliches Verbot regelmäßig mit Alkohol und Zigaretten. Als Rocco aus seiner Band fliegt, weil er dauernd die Proben verpasst, schlägt ihm die mittlerweile sehr liebenswürdige Marina vor, er solle doch mit den Heimbewohnern Musik machen. Frau Glück sieht die ungeahnten Lebenszeichen ihrer Schutzbefohlenen hingegen gar nicht gern und wirft Rocco raus; prompt kommt’s zum Aufstand auf dem Abstellgleis.

Vor Sarkasmus nur so triefenden Dialog

Allein wegen der wunderbar vorgetragenen, vor Sarkasmus nur so triefenden Dialoge von Bibiana Zeller ("Zuckeroma") ist die Komödie schon sehenswert. Ohnehin hat Autor Uli Brée den alten Herrschaften (unter anderem noch Hans-Michael Rehberg) diverse schöne Szenen geschrieben. Natürlich trägt die Geschichte märchenhafte Züge, aber Wolfgang Murnberger inszeniert sie mit viel Sinn für Realitätsnähe; selbst wenn das Ende zu schön ist um wahr zu sein. Zwar hat auch der Tod ein kurzes Gastspiel, aber die wirklich düsteren Seiten des Pflegenotstands bleiben ausgespart. Statt dessen setzen Brée und Murnberger auf kleine Momente, die das Schicksal der Bewohner verdeutlichen; etwa die grenzenlose Enttäuschung von Sissi Hopf (Zeller), die sich gerade noch gefreut hatte, nach ihrer Hüftverletzung wieder laufen und das Heim verlassen zu können, als ihr der Sohn ihre Möbel in die Residenz bringt. Dafür offenbart Herr Klüger (Rehberg) unverhoffte neue Energie, als Rocco mal vergisst, ihm seine Tabletten zu geben.

Sehr schön sind auch immer wieder die kleinen Anarchismen, die schließlich in den heimlichen Proben nachts im Keller gipfeln. Und das Casting der Rentnerband-Mitglieder ist die ausgelassenste Szene des Films: herrlich, wie sie da alle im Bademantel zum Vorspiel auftauchen. Für Frau Glück, die dem Treiben ein Ende bereitet, sind sie allerdings bloß "ein inkontinenter Haufen Alzheimer-Patienten". Dass sie damit so komplett daneben liegt, macht den Charme dieser liebenswerten Komödie aus.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).