Es sind vor allem Frauen, die mit nichts als Spitzhacke und Schaufel eine weitere Hausruine abreißen. "Mit den Frauen geht die Arbeit einfach schneller", sagt die Krankenschwester Magdala Jean-Pierre. Die 36-Jährige, bekannt als Madame Magdala, organisiert Dutzende solcher Abrisstrupps in Carrefour, einem einst 700.000 Einwohner zählenden Armenvorort der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince. "Es bleibt leider an uns Frauen hängen, die Schlacht um den Wiederaufbau Haitis zu schlagen."
Männer dürfen mitmachen - im "Weiblichkeits"-T-Shirt
"Ich bin keine radikale Feministin", betont Madame Magdala. Auch Männer sind in ihrer Organisation "Bewegung aktiver Frauen in Carrefour" willkommen, sofern sie das obligatorische T-Shirt tragen. "Freiheit - Gleichheit - Weiblichkeit" steht darauf, in Anlehnung an die Parole der französischen Revolution "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit".
Schon seit 1999 organisiert Madame Magdala die Menschen in ihrem Viertel. Anlass waren die vielen Vergewaltigungen und die hohe Kriminalität, die Madame Magdala mit "sozialer Integration" eindämmen wollte. Als das Erdbeben vom 12. Januar 2010 zwei Drittel von Carrefour innerhalb von Sekunden zerstörte, wandten sich die Überlebenden an sie. Jean-Pierre, die ihre Mutter und ihr Haus verlor, trommelte Nachbarn zusammen, verhandelte mit der Regierung und den Hilfsorganisationen.
Inzwischen werden Madame Magdalas Schutt-Trupps vom UN-Welternährungsprogramm WFP und der europäischen Katastrophenhilfe ECHO finanziert. Denn beide Organisationen suchen neue Wege, mit der Nothilfe zugleich Haitis Zivilgesellschaft zu stärken. Davon versprechen sich die internationalen Helfer stabilere politische Verhältnisse und nicht zuletzt einen schnelleren Wiederaufbau.
Es geht verzweifelt langsam voran
"Das ist ein Beispiel für den Übergang von Nothilfe zu Wiederaufbau", lobt WFP-Sprecherin Stephanie Tremblay die Organisation von Madame Magdala. Es gebe viele solcher Bürger-Organisationen in Haiti. "Wir wollen das fördern." Doch Wunder sind auf diesem Weg nicht zu erwarten. "Es geht in kleinen Schritten vorwärts."
Vielen sind die Schritte zu klein. "Verzweifelt langsam" gehe es in Haiti voran, klagte vergangene Woche der designierte Präsident Michel Martelly. 680.000 Menschen leben immer noch in Lagern. Zwar sind die Schuttberge kleiner geworden und die Ruinen in den Straßen weniger, doch von Wiederaufbau ist wenig zu sehen.
Deshalb unterstützt die internationale Gemeinschaft in einem einmaligen Ausmaß die Aufräumarbeiten in Haiti mit sogenannten Cash-for-Work-Programmen, in denen es "Bargeld für Arbeit" gibt. Jede Frau und jeder Mann in Madame Magdalas Schutt-Trupps bekommt von WFP und ECHO 3,50 Euro Lohn am Tag. So erhielten in den vergangenen Monaten 110.000 Menschen einen zeitlich begrenzten Job. Die Idee dahinter ist, die einheimische Wirtschaft wieder anzukurbeln - oder wenigstens dazu beizutragen.
"Jetzt müssen auch die Männer in der Politik arbeiten"
Andererseits ist das Jahrhunderterdbeben Haitis aus den Schlagzeilen verschwunden und die Helfer kämpfen mehr und mehr ums Budget. Um die Spendenbereitschaft zu erhöhen brauchen die Organisationen Aufmerksamkeit. So werben die blinden Sänger Amadou und Mariam für die Haiti-Projekte von ECHO und WFP. Das Paar aus Mali, das mit seinem Stilmix aus afrikanischen Rhythmen und westlicher Musik das Genre der "Weltmusik" prägte, verknüpft seine Lieder mit politischen Botschaften gegen Hunger und Ungerechtigkeit.
Madame Magdala setzt weiter vor allem auf die haitianischen Frauen, auch wenn sich der Kreis ihrer Mitarbeiter erweitert hat. "Die Männer beteiligen sich seit der Katastrophe mehr, übernehmen mehr Verantwortung", lobt sie. Jetzt sei es an der Zeit, dass auch die "Männer in der Politik" zu arbeiten begännen, sagt Carrefours Chef-Feministin mit Blick auf die vielen Versprechen des künftigen Präsidenten. Martelly wird sein Amt im Mai übernehmen, und die Erwartungen an ihn sind hoch. "Wir sind Tausende und wir leben immer noch im Zelt", mahnt Madame Magdala.