"Gott greift nur ein, wenn es nötig ist"
Die Wissenschaft hat die Natur weitgehend entzaubert. Wie lassen sich also Glauben und Naturwissenschaft zusammenbringen - mit Blick auf alltägliche Gebetsanliegen, auf die großen Fragestellungen der Wissenschaft, auf zentrale Glaubensinhalte wie Ostern und Auferstehung? Fragen an einen Mönch, der gleichzeitig ein renommierter Forscher ist: George Coyne, langjähriger Direktor der Vatikanischen Sternwarte.
26.04.2011
Die Fragen stellte Ulrich Pontes

Auf wissenschaftlichen Kongressen trägt nicht einmal sein priesterliches Kollar: Wie er forscht und was er als Wissenschaftler tut, darin unterscheidet sich George Coyne kein bisschen von einem x-beliebigen Astronomen - das betont er. Trotzdem ist er kein Forscher wie jeder andere: Coyne, Jahrgang 1933, ist Jesuit und war nach Stationen in verschiedenen Observatorien fast 30 Jahre lang Direktor der Sternwarte, die der Heilige Stuhl im US-Staat Arizona betreibt.

Neben seinen astronomischen Studien hatte er eine leitende Funktion in der Kommission, die im Auftrag von Papst Johannes Paul II. den Fall Galileo Galilei neu aufrollte, und war Mitorganisator einer Reihe von Fachkonferenzen über Gottes Wirken aus dem Blickwinkel der Naturwissenschaften. Tritt man ihm gegenüber, trifft man aber vor allem einen bodenständigen, fröhlichen alten Herrn. Das Interview findet im Sonnenschein auf einer Parkbank statt - als eine junge Familie vorbeikommt, genießt die Begegnung mit der kleinen Tochter erst mal Priorität vor philosophischen und theologischen Erörterungen.

Herr Coyne, Sie sind Astronom und Jesuit. Einerseits studieren Sie also die Naturgesetze, nach denen die Welt funktioniert. Andererseits sind Sie, vermute ich, ein spiritueller Mensch, der betet und von Gott Hilfe erbittet. Wie geht das zusammen?

Coyne: Für mich - aber ich denke, dass kann für religiös Gläubige allgemein gelten - gründet mein Glaube nicht auf meiner Naturwissenschaft. Ich bin nicht durch einen rein rationalen Abwägungsprozess zum Glauben gekommen, erst recht nicht durch die Wissenschaft. Glaube ist für mich ein Geschenk: Gottes Liebe zu mir. Es ist ganz zentral, dass die Bewegung von Gott ausgeht. Aber es gab es für mich in meinem Leben nie einen Grund, dieses Geschenk nicht anzunehmen.

Sie beschreiben sozusagen Gottes geistliches Handeln. Aber wirkt er auch in der materiellen Welt?

(Foto links: Photocase / Marcel Drechsler)

Coyne: Mein Glaube an Gott steht nie im Widerspruch zu etwas, das ich aus der Wissenschaft weiß. Er geht nur über das, was ich mit der Vernunft erfassen kann, hinaus. Was nun Gottes Wirken in der Welt angeht, kann ich mich fragen: Was ist das für ein Gott, der gerade solch ein Universum erschafft?

Und?

Coyne: Das Universum ist dynamisch und kreativ, es entwickelt sich, dehnt sich aus, hat uns Menschen hervorgebracht - das zeigt uns die Wissenschaft. Der Gott, der dieses Universum geschaffen hat, muss ein wundervoller Gott sein! Er hat keine Waschmaschine oder ein Auto geschaffen, sondern ein Universum, das teilhat an seiner eigenen Kreativität. In wie vielfältiger Weise, kann man anhand einzelner naturwissenschaftlicher Disziplinen vertiefen. Zentral ist dabei: Gott ist allmächtig - aber er ist kein Gott, der willkürlich oder bevormundend ins Universum eingreift.

Alles geht also seinen natürlichen Gang, den wir naturwissenschaftlich erforschen und verstehen können?

Coyne: Richtig. Das Universum entkommt Gottes Macht nicht, aber Gott überwältigt es auch nicht mit seiner Macht. Der beste Vergleich, den ich dafür gefunden habe, ist das Verhältnis eines Vaters oder einer Mutter zum Kind. So lange das Kind jung ist, erziehen es die Eltern, bringen ihm bei wie man seine Schuhe bindet, höflich "Bitte" und "Danke" sagt ... Aber wenn das Kind älter wird, wissen sie, dass sie ihm Unabhängigkeit zugestehen müssen. Ich denke, so ähnlich verhält sich auch Gott gegenüber der Welt.

Was entspricht in diesem Bild der Erziehungsphase, dem Schuhebinden?

Coyne: Das frühe Universum, die Naturgesetze. So wie die Erziehung dem Kind eine Struktur gibt, ohne ihm seine Individualität und Einzigartigkeit zu nehmen, hat Gott ein Universum geschaffen, das eine vernünftige Struktur aufweist. Es ist nicht chaotisch, aber es hat viel Freiheit.

Dann ist das Universum also seit langem erwachsen, Gott lässt ihm seine Freiheit - und bricht keine Naturgesetze?

Coyne: Nein. Jedenfalls nicht besonders oft. Ich glaube schon an Wunder - aber nicht immer und überall. Ich glaube an die Auferstehung des Herrn, die den Naturgesetzen trotzt. Ich glaube, dass Gott in Jesus Mensch wurde und an die Jungfrauengeburt, obwohl das die Wissenschaft herausfordert. Aber in all dem liegt für mich kein Widerspruch. Es ist eben Gottes Universum. Man kann vielleicht sagen: Gott kann einschreiten - aber er ist kein Gott, der das mehr als nötig tun würde.

Und nötig war es für Gottes Heilsplan?

Coyne: Ja. Gott hat eingegriffen, weil er beschlossen hat, uns in einer ganz speziellen Weise zu retten: Er ist Mensch geworden, am Kreuz gestorben und auferstanden.

Mit Ostern geht auch die Hoffnung der Christen auf ewiges Leben einher. Wie denken Sie darüber? Die alte Vorstellung einer unsterblichen Seele, die unabhängig vom sterblichen Körper existieren kann, passt ja nicht mehr zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis …

Coyne: Im aristotelischen und scholastischen Denken war die Seele die causa formalis, die Formursache des Körpers - das führt nicht zwangsläufig zu der Form von Dualismus, die Sie eben beschrieben haben. Aber lassen wir die Philosophiegeschichte beiseite und betrachten die biologische Evolution: Die Komplexität nahm immer mehr zu, schließlich entstand das menschliche Gehirn. Ich sehe das als stetigen Prozess, bei dem irgendwann eine geistliche Dimension hervortrat. Wohlgemerkt: Das bedeutet keine Reduktion auf das Materielle! Das Geistliche setzte die materiellen Prozesse voraus. Aber es ist eine völlig neue Qualität, die hier im Menschen zutage tritt! Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

Aber doch bleiben unser Geist und unsere Spiritualität vom Körper abhängig - und wir sehen etwa an dementen Menschen: Mit dem Gehirn verfallen Fähigkeiten und Erinnerungen, zentrale Teile unserer Identität gehen verloren. Wie können wir uns da ewiges Leben denken?

Coyne: Das ist natürlich ein Mysterium. Ich glaube fest daran, dass ich ewig leben werde, und dass das ich sein werde - dass ich also nicht in Gott aufgehe und als Person verschwinde. Denn Gott liebt mich und hat mich zum ewigen Leben mit ihm eingeladen. Ich glaube das, aber wenn ich mit der Vernunft darüber nachdenke, komme ich nur zu einem Ergebnis: Es ist ein Geheimnis. Und zwar nicht in dem Sinn, dass wir es nur lüften müssten. Ich denke, man wird es nie verstehen können - aber man muss es auch nicht verstehen, um daran glauben zu können. Es ist Teil des Geheimnisses Gottes.

Noch einmal zurück zur Frage, wo Gottes einschreitet und wo nicht. Ich habe Sie so verstanden, dass das allermeiste eben seinen natürlichen Lauf geht. Macht es da Sinn, etwa für gutes Wetter zu beten, wenn ich doch weiß, dass das Wetter von atmosphärischen Prozessen bestimmt wird?

(Foto links: fotolia)

Coyne: Ja, es macht Sinn. Denn wir bleiben zutiefst abhängig von Gott - schließlich ist es sein Universum. Wenn ich für gutes Wetter bete, sage ich ja in Wirklichkeit: Ich sollte auf alles vorbereitet sein, was in Gottes Universum passieren kann. Aber ich hätte eben gerne und hoffe inständig, dass es nicht regnet, weil ich morgen gerne Tennis spielen würde. Gleichzeitig weiß ich, dass Regen aus irgendeinem anderen Grund nötig sein könnte. Und dass es nicht regnen oder trocken bleiben wird, weil Gott das in diesem Moment so beschließt, sondern weil die Welt eben nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Das Wetter entkommt Gottes Macht nicht, aber es entsteht aufgrund natürlicher Ursachen.

In Ihrem Leben würden Sie kein Naturgesetze überschreitendes Wunder erwarten?

Coyne: Nein. Aber es ist oft schwer zu ermitteln, was übernatürlich ist und was nicht. Betrachten Sie all die medizinischen Wunder. Die katholische Kirche prüft sie umfassend: Man befragt Ärzte und tut überhaupt alles, was möglich ist, um zu beweisen, dass eine Heilung nicht auf natürlichem Weg geschehen sein kann. Aber es gibt so vieles, was wir an natürlichen Prozessen nicht verstehen. Ich beschreibe es gern so: Wir wissen ziemlich genau, dass das Universum 13,7 Milliarden Jahre alt ist. Wenn wir zum Vergleich daraus ein einziges Jahr machen, dann wurde Jesus Christus vor viereinhalb Sekunden geboren und Galileo, mit dem die moderne Wissenschaft begann, etwa vor einer Sekunde. Wir erforschen also das ein Jahr alte Universum seit einer Sekunde. Wir können nicht so tun, als verstünden wir alles!


Ulrich Pontes ist ist freier Journalist in Mainz und interessiert sich besonders für Themen im Grenzbereich von Wissenschaft und Weltbild.