Was glauben Sie: Wird die von den Bischöfen angestoßene Dialogoffensive der Kirche die nötigen Impulse geben?
Küng: Nur wenn es ein echter, ergebnisoffener Dialog sein wird und nicht ein Placebo für's Kirchenvolk, das Reformen hinauszögern soll.
Bei Themen wie Zölibat oder Frauenpriestertum haben die Bischöfe schon klar gemacht, dass Veränderungen nicht möglich sind. Bleibt also genügend Gestaltungsspielraum?
Küng: Nein! Wenn man gerade die dringendsten Reformen aus dem Dialog ausschließt, braucht man den Dialog gar nicht erst zu beginnen. Das Kirchenvolk und die Mehrheit des Klerus haben die ständig gleichen Ausreden und Ausflüchte der Hierarchen schon längst satt und erwarten besonders nach dem Versagen des Episkopats in der Missbrauchsaffäre klare, konstruktive Antworten.
Der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst hat gesagt, Spielraum für Reformen gebe es etwa beim Umgang mit konfessionsverschiedenen Ehen und mit wiederverheirateten Geschiedenen.
(Foto links: dpa)
Küng: Es wäre in der Tat erfreulich, wenn sich in der Frage der wiederverheirateten Geschiedenen Entscheidendes bewegen würde. Schließlich haben schon 1993 die Südwestbischöfe Walter Kasper (Rottenburg-Stuttgart), Karl Lehmann (Mainz) und Oskar Saier (Freiburg) einen mutigen Vorstoß gestartet, wiederverheirateten Geschiedenen den Empfang der Eucharistie zu ermöglichen. Das wurde damals vom obersten Glaubenshüter Joseph Ratziger gnadenlos abgeschmettert.
Weil Priester fehlen, wollen die Bischöfe die Position von Diakonen, Pastoral- und Gemeindereferenten stärken. Lassen sich damit die Folgen des Priestermangels abmildern?
Küng: Nur bedingt. Kirche lebt dort nicht schrift- und traditionsgemäß, wo die Eucharistie nicht mehr regelmäßig gefeiert werden kann, weil der Pfarrer fehlt. Ich bin selbstverständlich für die Aufwertung der Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten und -referentinnen. Aber die Bischöfe sollten sich dafür einsetzen, dass alle geeigneten Männer und Frauen zu Priestern ordiniert werden könnten. Nur so kann die Eucharistie wieder überall gefeiert werden.
Wie könnte der Dialogprozess Ihrer Meinung nach besser gestaltet werden?
Küng: Indem man nicht immer wieder langweilig über die Reformen redet, sondern sie hier und heute entschlossen anpackt. Manches, was einem Kardinal Meisner (dem als besonders konservativ geltenden Erzbischof von Köln) und seinen Gefolgsleuten in der Bischofskonferenz nicht einleuchten will, ist für das Volk schon längst sonnenklar. Etwa dass es verheiratete Priester geben darf.
Erzbischof Zollitsch erwartet sich vom Papst-Besuch im Herbst einen wichtigen Impuls für die katholische Kirche in Deutschland. Ist diese Hoffnung begründet?
Küng: Nur wenn der Papst außer den gewohnten schönen Reden über Gott und die Welt endlich Reformimpulse für die katholische Kirche und die Ökumene in seinem Reisegepäck mitbringen wird.
Die Ökumene soll ja ein Schwerpunkt der Reise werden. In Erfurt will sich der Papst mit Vertretern der evangelischen Kirche treffen.
Küng: Ob sich selbst die braven evangelischen Kirchenleitungen damit zufriedengeben werden? Es wäre an der Zeit, dass der Papst gerade in Erfurt die Exkommunikation Luthers aufhebt und gleichzeitig die von vielen ökumenischen Kommissionen empfohlene Anerkennung evangelischer Kirchenämter und Abendmahlsfeiern verkündet.
Trotz der Kirchenkrise werden zehntausende, vielleicht hunderttausende Menschen dem Papst zujubeln. Sind solche emotionalen Ereignisse eine Hilfe für die Kirche?
Küng: Sechs Jahre nach der Wir sind Papst-Welle ist die Zustimmungsquote der deutschen Bevölkerung für den deutschen Papst nach allen Meinungsumfragen mehrheitlich ins Negative gekippt. Aber wie immer wird es viele Jubel-Katholiken und Neugierige geben, und die konservativen Movimenti werden möglichst viele "Benedetto-Rufer" zusammenkarren, die dann die deutsche Jugend vortäuschen sollen. Und man vergesse doch nicht die Millionen Menschen, die an einem solchen Papst-Besuch nicht das geringste Interesse haben. Wäre es ein wirkliches Ereignis der Erneuerung der katholischen Kirche, könnte man mit Zustimmung rechnen, wie in den Hochzeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils. So aber manifestiert die katholische Kirche vermutlich wieder einmal eine prächtige römisch-katholische Fassade, hinter der es aber allenthalben bröckelt.