Unerkannt schlugen sie zu. Bei ihrem Überfall im Morgengrauen erschossen Unbekannte Oberst Mohammed Abdu Chaddur, seine zwei Söhne und einen Neffen, alle drei im Kindesalter. Um ihre Tat noch grauenhafter erscheinen zu lassen, verstümmelten sie die Leichen. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana schrieb das Blutbad in der syrischen Stadt Homs am vergangenen Sonntag einer "bewaffneten Bande" zu. Wirkliche mutmaßliche Täter präsentierten die syrischen Behörden bislang nicht - auch nicht im Fall zweier weiterer Militärs, die mit Chaddur im 11. Armeebataillon in Homs dienten und ebenfalls erschossen wurden.
Der 47-jährige Oberst erhielt ein Staatsbegräbnis erster Klasse, als er in seinem Geburtsort Berat al-Dscherd in der benachbarten Provinz Hama als "Märtyrer" beigesetzt wurde. Tausende erwiesen dem Offizier die letzte Ehre, mit syrischen Fahnen und Postern, die den Präsidenten Baschar al-Assad zeigten.
Oppositionelle haben eine andere Erklärung
Aber wer sind die geheimnisvollen Mörder? Das von wochenlangen Protesten bedrängte Regime von Assad lässt es bei Andeutungen bewenden: vom Ausland gesteuerte Verschwörer, Islamisten, "fanatische Terroristen". Doch in Homs waren die Proteste gegen den Polizei- und Geheimdienststaat erst am vergangenen Wochenende richtig hochgekocht, die Sicherheitskräfte hatten 14 Demonstranten erschossen.
Oppositionelle tischten deshalb eine ganz andere Erklärung für die mysteriösen Morde auf. Die Offiziere seien von Geheimdienst-Kommandos getötet worden, weil sie nicht auf die Demonstranten schießen wollten oder zur Opposition übergelaufen waren. Die grausame Ausführung der Taten sollte den Verdacht auf Terrorgruppen lenken. Der lokale Oppositionspolitiker Mahmud Issa sagte am Dienstag im arabischen Fernsehsender Al-Dschasira, er wisse, wer die Mörder Chaddurs seien. Der Geheimdienst holte ihn umgehend ab, er ist seitdem verschwunden.
Das Assad-Regime zieht alle Register, um angesichts der landesweiten Proteste sein Überleben zu gewährleisten. Die blutige Unterdrückung der Demonstrationen mit bislang rund 250 Toten geht einher mit - späten - politischen Zugeständnissen: Am Donnerstag hob der Präsident den seit 48 Jahren geltenden Ausnahmezustand auf und liberalisierte das Versammlungsrecht. Hunderttausende staatenlose Kurden erhielten zu Monatsbeginn nach Jahrzehnten des Wartens die syrische Staatsbürgerschaft.
Der Master-Plan des Geheimdienstes
Doch in Syrien bestimmen in erster Linie die weit verzweigten Geheimdienste den Gang der Dinge. Ein der Opposition zugespieltes Dokument aus der Giftküche der Staatssicherheit - dessen Echtheit freilich nicht zweifelsfrei bestätigt ist - wirft ein irritierendes Schlaglicht auf die Denk- und Arbeitsweise dieses machtvollen und jeder zivilen Kontrolle entzogenen Gewaltapparates.
Der mit 23. März 2011 datierte angebliche Master-Plan der Geheimdienst-Führung (Vermerk: "Streng geheim") entwirft eine perfide Strategie, um das Regime vor den eben anlaufenden Protesten zu schützen und nicht die "Fehler" zu wiederholen, die zu den Umstürzen in Tunesien und Ägypten geführt hatten. "Die Anti-Regime-Demonstrationen und -Proteste sind auf das Konto von in der syrischen Bevölkerung verhassten Figuren, darunter notorisch bekannte Saudis und Libanesen, zu schreiben und mit dem Zionismus in Amerika und Israel in Verbindung zu bringen." Journalisten sollten von den Protesten ferngehalten werden.
"Nie mehr als 20 Personen auf einmal töten"
Das Szenario sieht noch ganz andere menschenverachtende Schachzüge vor als nur mediale Desinformationskampagnen. So sollten gegen die Demonstranten vor allem Heckenschützen in Zivil eingesetzt werden. Dabei sollten aber "nie mehr als 20 Personen (auf einmal) getötet werden, weil dies sonst leichter bemerkt und thematisiert werden könnte, was Situationen einer ausländischen Intervention nach sich ziehen könnte".
Das angebliche Geheimdienst-Dokument war noch vor der Ermordung der Offiziere in Homs auf Webseiten der Opposition aufgetaucht. Insofern scheint die anschließende Passage ein bezeichnendes Licht auf die Vorgänge zu werfen: "Darüber hinaus ist es akzeptabel, einige Sicherheitsagenten oder Armeeoffiziere zu erschießen, um den Feind weiter zu täuschen und (...) Feindschaft zwischen den Protestierenden und der Armee zu schüren."