TV-Tipp: "Wie ein Licht in der Nacht" (ARD)
Die intensivste Rolle ihrer Karriere und eine großartige Besetzung für den Film: Christiane Hörbigers Verkörperung einer eleganten Alkoholikerin ist unbedingt preiswürdig.
21.04.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Wie ein Licht in der Nacht", 26. April, 20.15 Uhr im Ersten

Auch ein vornehm abgespreizter kleiner Finger schützt nicht vor Abhängigkeit. Trotzdem ist Christiane Hörbiger eine ebenso unerwartete wie großartige Besetzung für die Rolle der erfolgreichen Immobilienmaklerin Carla Binder, die ein probates Mittel gefunden hat, um den Problemen des Alltags ihren Schrecken zu nehmen: ein Gläschen in Ehren, und schon lächelt sie aufgekratzt alles weg.

Thorsten Näters Drehbuch setzt ein, als Carla sich aus ihrem Beruf zurückzieht und angesichts der plötzlichen Leere ihres Daseins auf das bewährte Hilfsmittel zurückgreift. Ihr Mann (Friedrich von Thun) hat sich schon vor Jahren von ihr getrennt, als das Verhängnis, das nun seinen Lauf nimmt, bereits zu erahnen war. Auch Tochter Ellen (Susanna Simon) hat sich mehr und mehr zurückgezogen. Carla, zunächst voller Vorfreude auf den Rest ihres Lebens, ertränkt den horror vacui mit Champagner und Cognac, säuft sich schließlich ins Delirium und muss ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ein Arzt, der ihr zum kontrollierten Entzug rät, erntet nichts als Empörung.

Wenn ein echtes Privatleben fehlt

Der tristen Handlung zum Trotz ist "Wie ein Licht in der Nacht" kein deprimierendes Drama: dank Hörbiger, dank Näters Drehbuch und dank Florian Baxmeyers Führung seiner Hauptdarstellerin. So lange Carlas Dasein in geregelten Bahnen verläuft, ist sie gutgelaunte Mitläuferin: keinem Umtrunk abgeneigt, immer gut drauf; und eine exzellente Verkäuferin. Doch ohne echtes Privatleben geht ihr mit dem Rückzug aus dem Beruf auch der einzige Halt verloren. Ohne Effekthascherei, aber dramaturgisch eminent wirkungsvoll inszeniert Baxmeyer den Alkohol als Schlinge, die sich immer enger zuzieht. Als einziger Freund entpuppt sich schließlich ein Mann, den Carla in ihrer Arroganz wie einen Leibeigenen behandelt: Hausmeister Keller (Klaus J. Behrendt), trockener Alkoholiker, erkennt die Abwärtsspirale; er wird zu ihrer letzter Hoffnung.

Aus dem guten Ensemble ragt Christiane Hörbiger heraus. Dank ihres herausragenden Talents vollzieht sich der Absturz wie in Zeitlupe. Mit spürbarer Spielfreude, aber stets in perfekter Dosierung kostet sie das ganze Spektrum dieser Rolle aus. Erst beschwingt, dann beschwipst, um schließlich, beim Entzug, großen Mut zur buchstäblich ungeschminkten Verkörperung dieser qualvollen Kur zu zeigen: eine preiswürdige Leistung. Hörbiger selbst bezeichnet diese Rolle als die intensivste ihrer Karriere. Das ist nicht übertrieben.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).