Geht "Auferstehung" ohne Wunder und leeres Grab?
Die Vorstellung von einer körperlichen Auferstehung Jesu und damit verbunden vom leeren Grab teilen nicht alle Christen. Der liberale Theologe Andreas Rössler versucht, die Auferstehung ohne übernatürliche, wunderhafte Elemente zu denken. Gleichwohl sagt er: Um die Botschaft von der Auferstehung plausibel zu begründen, muss ein Maßstab gelten - und der kann für alle Christen nur Christus selbst sein.
21.04.2011
Von Andreas Rössler

Bei allen Unterschieden besteht unter freien oder liberalen Christen eine Übereinstimmung in einigen Abgrenzungen. Das gilt im Hinblick auf den protestantischen Fundamentalismus mit seinen fünf Grundgesichtspunkten (fundamentals): Verbalinspiration und damit die buchstäbliche Irrtumslosigkeit der Bibel; die "Gottheit" des Menschen Jesus von Nazareth und dessen Geburt von einer Jungfrau auch im biologischen Sinn – samt seiner als Durchbrechung der Naturordnungen verstandenen Wunder; Deutung des Todes Jesu als Sühne für die Sünden der Menschen, wonach Gott uns nur deshalb erlöst, weil Jesus am Kreuz gestorben ist; eine körperlich verstandene Auferstehung Jesu und seine persönliche Wiederkehr auf die Erde am Ende der Geschichte.

Dies lehnen liberale Christen ab, weil hier der Buchstabe mit dem Geist gleichgesetzt wird, die Vorstellung mit der Sache. Denn religiöse Sprache ist gleichnishaft-symbolisch. Sie weist mit ihren Vorstellungen und Begriffen, die aus unserer raumzeitlichen Welt genommen sind, über sich hinaus auf das ganz Andere. Damit sind aber nicht alle religiösen Symbole gleichwertig. Maßstab einer Symbolkritik ist vielmehr die Gottheit Gottes. Und für das Ostergeschehen ist "Auferweckung" ein treffenderes Symbol als "Auferstehung", weil allein Gott den – im Tod völlig ohnmächtigen – Menschen neu schaffen kann.

Gott greift nicht in den Weltlauf ein

Eine weitere liberale Grenzmarke ist das Nein zum Supranaturalismus. Freie Christen setzen die Beständigkeit der von Gott geschaffenen Daseinsordnungen voraus, auch wenn diese nie vollständig zu erfassen sind. Mit inbegriffen ist hier das Shakespeare-Wort aus Hamlet: "Es gibt mehr
Dinge im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumt." Freisinnige Christen nehmen sich das Recht, die Auferstehung Jesu ohne supranaturale, mirakulöse Elemente zu denken. Sie rechnen nicht mit einem Eingreifen Gottes in den Weltlauf, bei dem die vom Schöpfer selbst eingegebenen Ordnungen über den Haufen geworfen werden.

Liberale Christen haben natürlich Mitchristen zu achten, die Vorstellungen wie die von einer körperlichen Auferstehung Jesu und damit verbunden vom leeren Grab vertreten. Aber sie halten es für falsch, suchenden Menschen ein vergangenes Weltbild aufzudrängen. Damit man nicht jedem Unsinn aufsitzt, braucht man klar zu benennende Maßstäbe. So ist für alle Christen Jesus von Nazareth der Maßstab. Die Wahrheit dessen, was Jesus gebracht und wofür er gelebt hat, darf aber nicht bloß behauptet, sie muss vielmehr argumentativ dargelegt werden. In Fragen Gottes und des Göttlichen kann es keine strengen Beweise geben, auch keine zwingenden Gegenbeweise, wohl aber Hinweise, Fingerzeige, Plausibilitäten – und für den Einzelnen ganz persönlich eine innere Gewissheit.

"So steht es in der Bibel" reicht nicht

Auch bei der Botschaft von der Auferstehung Jesu ist es nicht mit doktrinären Begründungen getan, "so steht es in der Bibel" oder "so lehrt es die Kirche". Wir brauchen Argumente, nicht autoritäre Vorgaben. Ein erstes Argument für die Osterbotschaft ist der geschichtliche Befund. Den Kreuzestod Jesu erfuhren seine Jünger als Scheitern seiner Sendung. Aber kurz danach wurden sie aus ihrer Lähmung herausgerissen. Sie wurden dessen gewiss, dass Jesus nicht ins Nichts gefallen ist, sondern in Gott lebt und im Geist Gottes unter ihnen ist. So gewannen sie nachhaltig – und nicht bloß für einen Moment emotionaler Erregung – einen Glaubensmut, der sie harte Entbehrungen auf sich nehmen ließ und sich bis zur Bereitschaft zum Martyrium steigerte.

Jesus war ihnen in Erscheinungen begegnet, Einzelnen, ganzen Gruppen und dann auch einer Menge von über fünfhundert Leuten, wie Paulus im 1. Korintherbrief (15,3–7) schreibt. Historisch-kritisch und religionspsychologisch kann man natürlich fragen, ob es sich bei diesen Visionen einfach um einen Stimmungsumschwung der Jünger Jesu und einen neuen Blick auf die Geschehnisse handelt, oder um psychologisch zu erklärende Vorgänge, wie sie auch sonst zuweilen vorkommen. Wissenschaftlich  überhaupt nicht zu beantworten ist die Frage nach dem Wahrheitsgehalt: Handelt es sich bei den Ostervisionen einfach nur um Wunschgedanken und Einbildungen, bis hin zu Massensuggestionen? Hat man sich da etwas eingeredet?

Die Jünger wussten: Jesus hat Recht

Oder hat Gott selbst die Jünger Jesu auf menschlich zugängliche Weise wissen lassen, dass Jesus mit seiner Verkündigung der freien Gnade und Liebe Gottes, die sich in menschlicher Liebe widerspiegeln will, recht behalten hat? Jesus wusste sich vom Geist Gottes geleitet. Und sein Verhalten stimmte mit seiner Lehre überein. Und sein Dasein für andere hielt sich durch bis zu seinem unschuldigen, schrecklichen Tod, den er sterben musste, weil er nicht davon ablassen konnte, denen die Güte Gottes zu versichern, die arm, verachtet, ausgebeutet und ausgeschlossen waren – und denen, die ihre Schuld bereuten. Dass Gott zu Jesu Verhalten Ja gesagt hat, legt sich nahe – sofern man glaubt, dass der Urgrund von allem nicht blinde, unbewusste Natur und gleichgültiges Schicksal ist, sondern "Wille der Liebe", wie Albert Schweitzer das ausdrückte.

Ein zweites Argument für die Osterbotschaft ist deren Zusammenstimmen mit unseren eigenen Ewigkeitserwartungen. Nach Paulus kann Christus nur dann auferstanden sein, wenn es überhaupt eine Auferstehung der Toten gibt (1. Korinther 15,12–19). Wie aber kommen wir zum Gedanken
eines eigenen Seins nach dem Tod? Wir leiden an der Endlichkeit. Und unsere Begrenztheit
führt zur Ahnung von etwas Unbegrenztem. Außerdem suchen wir ungetrübtes Glück, finden es aber nicht im Irdischen. Sehnsucht ist in uns angelegt. Und sie mag ein Hinweis auf eine Erfüllung in einem anderen Leben sein – auch im Hinblick auf Menschen, die zu Lebzeiten immer im Schatten standen und die Hölle durchmachen mussten oder die gar keine wirkliche Lebenschance hatten wie Frühverstorbene. So ist die Auferstehung Jesu auf alle Fälle eine denkbare Option.

In Zeit und Ewigkeit in Gott geborgen

Ein drittes Argument für die Osterbotschaft geht versuchsweise vom Gegenteil aus: Gesetzt den Fall, Gott habe zu Jesu Botschaft nicht Ja gesagt und Jesus sei nicht in Gottes Ewigkeit eingegangen. Dann wird die sich aufopfernde Liebe nicht über Hass und Vernichtungswillen siegen. Dann wird alles vom Nichts zugedeckt werden, die Opfer nicht weniger als die Täter, die Blutzeugen für Wahrheit und Güte
nicht weniger als Egoisten und Rücksichtslose. Und ferner wird alles, was an beglückenden geistigen Werten und Werken errungen – und oft erlitten – worden ist, nur ein bloßer Hauch sein.

Und umgekehrt: Gesetzt den Fall, die Osterbotschaft ist in ihrem Gehalt wahr, und es gilt: "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt" und "Jesus lebt, mit ihm auch ich". Dann dürfen wir uns in Zeit und Ewigkeit in Gott geborgen wissen und können uns im begrenzten irdischen Dasein ganz den hiesigen Aufgaben widmen. Im Licht von Ostern werden wir gewiss, dass uns nichts von der Liebe Gottes scheiden kann. Der freisinnige Theologe und liberale Christ Albert Schweitzer schrieb 1958 in einem Brief: "Unser Glaube ist, dass die Seelen derer, die von uns scheiden, in das Reich des Friedens und des Lichtes
eingehen und bei Gott sind. Dessen dürfen wir uns getrösten."


Andreas Rössler aus Stuttgart ist promovierter Theologe und führendes Mitglied des Bundes für Freies Christentum, eines Zusammenschlusses liberaler Protestanten.

Der hier veröffentlichte Text erschien in längerer Version unter dem Titel "Argumente, nicht blinder Glaube" in der April-Ausgabe der Zeitschrift "zeitzeichen - Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft".