Ratlos über Libyen: Diskussionen um Bodeneinsatz
Paris und London waren schnell dabei, als es darum ging, Flugzeuge nach Libyen zu schicken. Jetzt ist guter Rat teuer. Die Angriffe haben Gaddafis Bollwerk nicht brechen können. Eine Lösung innerhalb der aktuellen UN-Resolution gleicht einem Tanz auf der Rasierklinge.
21.04.2011
Von Ansgar Haase und Michael Donhauser

Einen Monat nach den ersten Luftangriffen der beiden europäischen Vorreiterländer im Kampf gegen Gaddafi sind die Illusionen wie eine Seifenblase zerplatzt. Die Rebellen schaffen es gerade einmal, ihre Stellungen zu halten. "Wie weiter in Libyen?", lautet nun die große Frage, die durch die Flure von Downing Street und Elyséepalast hallt.

Droht ein "neues Vietnam"?

In London wurden erste Stimmen laut, dass "ein neues Vietnam" drohe. Premierminister David Cameron, dem ein schneller erfolgreicher Libyen-Einsatz auch ein wenig Luft von seinen innenpolitischen Problemen verschafft hätte, muss sich zunehmend Kritik anhören. Sogar eine Unterbrechung der parlamentarischen Osterpause hatten einige seiner eigenen Hinterbänkler gefordert.

"Fast täglich dementiert die Regierung, Großbritannien tauche in einen Bürgerkrieg ein", sagt BBC-Chefkorrespondent John Pienaar. "Fast täglich äußert ein Kern von Abgeordneten von Regierung und Opposition seine Befürchtung, dass genau das passiert."

Paris, London und Rom schicken Militärberater nach Bengasi

Die Optionen, die nun als Auswege diskutiert werden, sind ebenso heikel wie umstritten. Nach Großbritannien kündigten am Mittwoch auch Frankreich und Italien die Entsendung von Militärexperten auf libyschen Boden an - Russland kritisierte den britischen Schritt umgehend. Aufgabe der von London entsandten zehn Berater sei es nicht, kämpfende Truppen auszubilden, geschweige denn selbst in Kampfhandlungen einzugreifen, sagte Außenminister William Hague und versuchte abzuwiegeln. Es handele sich "keineswegs" um Bodentruppen, betonte er. Um was genau es sich handelt, sagte er nicht.

Dass der "Beratungseinsatz" das Blatt in Libyen schnell zugunsten der Rebellen wendet, wird allgemein bezweifelt. Was also tun? Waffenlieferungen für die Rebellen? Der Einsatz von echten Bodentruppen? Diese Themen kommen mit immer mehr Druck auf den Tisch - auch wenn die politischen Protagonisten in Paris und London die Reizworte meiden wie der Teufel das Weihwasser.

Schon in den vergangenen Wochen hatte die Downing Street ihre Auslegung der UN-Resolution 1973 wie ein Gummiband immer weiter gedehnt. Inzwischen ist die allgemeine Interpretation: Erlaubt ist alles, was Zivilisten schützt. Der Winkelzug kommt einem selbstgedruckten Freifahrtsschein gleich.

Sarkozy: "Wir werden Euch helfen"

Auch aus Paris wird der Ton schärfer - zumindest aus der zweiten Reihe. Der Einsatz von Spezialkräften sei unvermeidbar und nur noch eine Frage der Zeit, sagte der französische General Loup Francart der Zeitung "Le Monde". Die großen Nato-Länder USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland seien sich in dieser Hinsicht bereits einig. "Sie können es sich nicht leisten, dass der Konflikt noch lange weitergeht", sagte Francart. Aller Wahrscheinlichkeit nach seien britische Soldaten schon längst im Einsatz, vermutet er sogar.

Anfang der Woche hatten sich bereits französische Parlamentsabgeordnete für den Einsatz von 200 bis 300 Spezialkräften in Libyen ausgesprochen. Sie könnten beispielsweise Ziele für Luftangriffe der Koalition identifizieren. Eine solche Operation würde nicht gegen die UN-Resolution verstoßen, sagte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Axel Poniatowski.

Der französische Verteidigungsminister Gérard Longuet hatte die Identifikation von Zielen für die Luftangriffe zuvor als Problem bezeichnet. "Das Thema ist eine internationale Überlegung wert", sagte Longuet am Mittwoch zu einem möglichen Einsatz von Bodentruppen. Derzeit schließe Frankreich ihn allerdings aus.

Am Mittwoch traf Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy den Chef des libyschen Übergangsrates, Mustafa Mohammed al-Dschalil, in Paris, um über den Ausweg aus der Krise zu beraten. Mit allzu lauten öffentlichen Forderungen nach internationalen Bodentruppen hielt sich al-Dschalil jedoch zurück. Ganz bescheiden forderte er Sarkozy auf, doch zu einem Besuch in die Rebellenhochburg Bengasi zu kommen. "Ich denke, dass wäre sehr wichtig für die Revolutionsmoral", sagte er. Aus dem Präsidentenpalast war über Details des Gesprächs zunächst nicht viel zu hören. "Wir werden Euch helfen", soll Sarkozy gesagt haben.

dpa