Letzte Chance für Weltschuldenmacht USA
Selten hat eine private Firma eine Weltmacht so bloß gestellt: Die Ratingagentur Standard & Poor's zweifelt daran, dass die USA ihre überbordenden Schulden in den Griff bekommen. Kommt die Warnung zu spät?
19.04.2011
Von Daniel Schnettler und Marco Mierke

Hier ein teurer Krieg gegen einen arabischen Despoten oder ein Terrorregime, dort eine Milliardenspritze für die bankrotte Autoindustrie oder den brachliegenden Häusermarkt. Der Präsident der Vereinigten Staaten schreibt täglich dicke Schecks aus. Einen guten Teil des Geldes muss er sich pumpen.

Rote Zahlen schreiben zwar viele Industriestaaten inklusive Deutschland, doch die USA leben besonders extrem über ihre Verhältnisse - und bekommen nun die Quittung dafür. Die Geldgeber zweifeln langsam daran, dass das Land die Kraft hat, seine offenen Außenstände pünktlich zu begleichen. Die ersten Investoren ziehen sich bereits aus US-Staatsanleihen zurück, und nun hat auch noch die mächtige Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) die Kreditwürdigkeit der Supermacht in Frage gestellt.

"Es ist ein Tabubruch und ein Schuss vor den Bug gleichermaßen", kommentiert Andreas Rees, Deutschland-Chefvolkswirt der UniCredit. Seit dem 1. Januar 1941 besitzen die USA die beste Bonitätsnote AAA und nun droht S&P damit, das Land herabzustufen. Das würde rein finanziell bedeuten, dass die Vereinigten Staaten mehr Zinsen für ihre neuen Kredite zahlen müssten. Ökonomisch wäre das gefährlich, politisch eine Demütigung sondergleichen.

Folgerichtige Entscheidung nach den Abwertungen in Europa

Mehr als 14,2 Billionen Dollar stehen bei den USA schon auf dem Schuldentacho. In nur zehn Jahren könnte sich die Summe verdoppelt haben, sollte das Land weiter unglaubliche 1 bis 2 Billionen Dollar pro Jahr mehr ausgeben als es einnimmt. Schuld an dem Dilemma hat nach Ansicht von S&P allein die Politik. Denn obwohl das Land ökonomisch gut dastehe, sei Washington unfähig, sein riesiges Loch im Staatssäckel zu flicken.

Ungewöhnlich harte Worte für eine der großen drei Ratingagenturen, denen bei der Finanzkrise komplettes Versagen angekreidet wurde, da sie die aufziehenden Probleme zu spät erkannten. "Die Entscheidung von S&P verdient großen Respekt. Und sie ist folgerichtig", sagt UniCredit-Experte Rees. "Den Ratingagenturen wurde in den vergangenen Jahren immer wieder vorgeworfen, die USA in ihrer Beurteilung zu schonen. Gleichzeitig wurden die Bewertungen für die europäischen Krisenländer kräftig nach unten genommen. Beides passte auf Dauer einfach nicht zusammen." Kollegen pflichten ihm bei.

Die Amerikaner lassen sich gerne über die Verfehlungen von Griechenland, Irland oder Portugal aus und sprechen von der Euro-Schulden-Krise. Dass das eigene Land massive Probleme hat, wurde lange geflissentlich ignoriert.

Der politische Streit um das Budget reicht den Bänkern nicht

Erst jetzt legten Präsident Barack Obama und die oppositionellen Republikaner jeweils eigene handfeste Pläne vor, mit denen sie das Defizit binnen einer Dekade zwischen 4 und 6 Billionen Dollar verschlanken wollen. Doch der ideologische Streit über richtige und falsche Sparmaßnahmen muss auf die Finanzanalysten an der Wall Street wie schlechtes Theater wirken.

Die Parteien verloren sich schon in ihrer Schlacht um den seit Oktober laufenden Haushalt in kleinste Details - um ein Haar hätte die Regierungsarbeit still gestanden. Die Politiker zankten darüber, wie viele Berater der Präsident auf seiner Gehaltsliste haben darf und ob eine Familienhilfe-Einrichtung womöglich mit Staatsmitteln Abtreibungen unterstützt. Der echte Wille, das Minus auf dem US-Konto zu verringern, sei dabei nicht deutlich geworden, kritisierte S&P.

Schlimmer noch: Der anstehende Präsidentschafts-Wahlkampf könnte das Land politisch bis Ende 2012 lähmen. "Es gibt ein grundlegendes Risiko, dass die US-Politiker keine Einigung darüber erzielen werden, wie sie die mittel- und langfristigen finanziellen Herausforderungen bis 2013 angehen sollen", monierte S&P. In anderen Worten: Die Schuldenexperten fürchten, dass die Politiker ihren Job nicht erledigen. Starker Tobak.

Die Warnung könnte Obama helfen

Obama könnte die Warnung auf seinem Weg zur Wiederwahl allerdings helfen, meinen Analysten, weil er nun die blockierenden Republikaner als Verursacher des drohenden Staatsruins hinstellen könnte. Das Weiße Haus bringt sich schon mal in Stellung: "Wir denken, dass die Politik die Erwartungen von S&P übertreffen wird", sagte Sprecher Jay Carney. Ein klarer Aufruf an die Opposition, beim Schuldenabbau zu kooperieren. Aber nach den Spielregeln der Regierung, versteht sich.

Ob S&P tatsächlich "die politischen Führer Amerikas unterschätzt", wie es das Finanzministerium in einer Stellungnahme erklärte, wird sich schon in den kommenden Woche zeigen. Bis spätestens Juli müssen Republikaner und Demokraten im Kongress für die Erhöhung der schon fast erreichten Schuldenobergrenze stimmen, damit die USA weiterhin zahlungsfähig bleiben. Leisten sich die Parteien um den eigentlich nur formalen Schritt wieder einen Kampf, dürfte das Wasser auf die Mühlen der Schwarzseher sein. Amerikas Uhr tickt.

dpa