In der Schweiz wird auf allen Ebenen der Ausstieg aus der Atomenergie diskutiert. Dazu haben neben der Atomkatastrophe in Japan auch das Ergebnis der Landtagswahlen im benachbarten Baden-Württemberg beigetragen. Von den fünf Schweizer Atomkraftwerken an vier Standorten liegen drei im Grenzbereich zu Süddeutschland.
Bislang kaum alternative Energiequellen
Klar formulierte es die sozialdemokratische Außenministerin Micheline Calmy-Rey: "Die Schweiz prüft einen Atomausstieg", sagte sie kürzlich bei einem Besuch in Österreich. Ihre Partei fordert, mit ihrer Zustimmung, eine Abkehr von der Atomenergie und den Ersatz durch erneuerbare Energien.
Dies wäre eine deutliche Umkehr, denn Strom wird in der Schweiz derzeit nur zu weniger als 0,1 Prozent aus alternativer Energie erzeugt. Dagegen kommt Elektrizität zu rund 40 Prozent aus den Kernkraftwerken Beznau-1, Beznau-2, Gösgen, Leibstadt und Mühleberg. Rund 55 Prozent werden in Wasserkraftwerken erzeugt und die übrigen fünf Prozent zum größten Teil in Abfallverbrennungsanlagen.
Die Atomanlagen stammen teilweise aus den 1970er Jahren. Um das Jahr 2020 müssen die veralteten Atomkraftwerke Mühleberg und Beznau 1 und 2 abgeschaltet werden. Anfragen für Neubauten liegen vor, werden aber derzeit auch politisch nicht weiter verfolgt. Am sogenannten Stresstest der Europäischen Union für Atomkraftwerke nimmt die Schweiz derzeit nicht teil. Da sie bereits Sicherheitsprüfungen für ihre Meiler angeordnet habe, wolle man nicht warten, begründete dies Calmy-Rey.
"Schweizer AKWs sicherer als die deutschen"
Umweltministerin Doris Leuthard meinte, die Sicherheitsstandards stünden schon jetzt über denen, wie sie beim EU-Stresstest festgestellt werden sollen. "Etwa die Gefahr von Flugzeugabstürzen ist bei uns im jetzigen Standard schon drin", sagte die Ministerin. In Europa werde dies jetzt erst diskutiert. "Trotz des Alters wurden unsere Kraftwerke immer nachgerüstet. Sie mussten immer die neuesten Kriterien erfüllen." Die Ministerin gibt sich sicher, dass die Schweizer Sicherheitskriterien die derzeitigen deutschen übertreffen.
Beflügelt von den Erfolgen ihrer Parteifreunde in Deutschland, haben die Schweizer Grünen das Thema Atomausstieg für sich neu entdeckt und wollen dazu jetzt wieder eine Volksabstimmung - diesmal mit besseren Erfolgsaussichten. Solche Abstimmungen gingen in der Schweiz nämlich gar nicht immer zuungunsten der Atomindustrie aus. Mehrmals sind sogar von Atomgegnern initiierte Abstimmungen für einen Atomausstieg gescheitert.
So mussten Umweltverbände, Sozialdemokraten und Grüne etwa 2008 eine Niederlage einstecken, als deutliche 58,4 Prozent einen Baustopp für Atomkraftwerke ablehnten. Auch sprachen sich 66,3 der Stimmbürger gegen die Stilllegung der bestehenden Meiler aus. Allerdings muss der Bau neuer Atomkraftwerke immer auch durch das Volk abgesegnet werden.
Wichtiges Wahlkampfthema
Nun verlangen die Grünen, dass Atomkraftwerke grundsätzlich in der Schweizer Verfassung verboten werden. Atomkraft zur Erzeugung von Strom und Wärme soll abgeschafft, für medizinische Anwendungen und Forschung aber erlaubt bleiben. Endgültig sollen das Werk in Mühleberg und die beiden Beznauer Meiler ein Jahr nach dem Ja bei der Abstimmung abgeschaltet werden. Gösgen und Leibstadt müssten nach vierzig Jahren Betrieb vom Netz, also 2019 und 2024.
Ohne Zweifel wird das Thema Atomkraft im bevorstehenden Wahlkampf für ein neues Parlament im Oktober eine bedeutende Rolle spielen. Selbst im eigenen Lager der Grünen ist der geplante rasche Ausstieg nicht unumstritten, bestünde doch die Gefahr, dass etwa Strom aus Atomkraft importiert werden müsste, um die Lücken zu stopfen.
Wenn sich etwa der Stadtrat von Basel für die Abschaltung des französischen Meilers im nahen Fessenheim ausspricht, dann standen zwar alle Fraktionen dahinter. Aber die größte Partei des Landes, die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) enthielt sich. Und in Basel warnte auch eine Sozialdemokratin, Beznau und Mühleberg seien genau gleich gefährlich wie Fessenheim und auch nicht weiter von Basel entfernt - dort müsse man also genauso den Stecker ziehen.
"Komplexes Problem"
Umweltministerin Leuthard, die der Christlichdemokratischen Volkspartei(CVP) angehört, hat ihre Parteifreunde bereits davor gewarnt, zu schnell auf den Ausstiegszug aufzuspringen. "Das Problem ist extrem komplex", sagte sie und verwies auf die Aufgaben, die der Staat in Sachen Sicherheit für Menschen, Umwelt und Klima sowie für die sichere Versorgung mit Energie zu erfüllen hat.
Immerhin lässt die Regierung nun über Leuthards Ministerium einen vorzeitigen Ausstieg aus der Atomenergie prüfen. Erste Ergebnisse werden im Juni erwartet. Und CVP-Parteichef Christophe Darbellay weiß schon: "Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann und wie die Schweiz ohne Atomkraft auskommt."