Vor seinem nur kosmetisch umgebildeten Kabinett schlug der syrische Präsident Baschar al-Assad am Samstag einen neuen Ton an. Von den "legitimen Wünschen und Forderungen des Volkes" war da plötzlich die Rede, von einer "Kluft" zwischen Regierung und Regierten, von Jugendarbeitslosigkeit und Korruption, die niedergerungen werden müssten, ja sogar von "Transparenz", die auf einmal Not täte.
Zweieinhalb Wochen zuvor, als sich Assad zum ersten Mal seit Ausbruch der Protestwelle in seinem Land im Parlament geäußert hatte, hatte er noch anders geklungen. Da war noch alles das "Werk einer gegen Syrien gerichteten ausländischen Verschwörung", die beinhart eliminiert werde. Mit jene Rede hatte er nur Öl ins Feuer gegossen. Die Demonstrationen, die bis dahin das Verlangen nach mehr Demokratie in den Mittelpunkt gestellt hatten, schlossen nun auch zunehmend Forderungen nach einem Regimewechsel ein.
Aufhebung des Ausnahmezustands
Nach geschätzten 250 Toten ist es gut möglich, dass dem 45-jährigen Staatschef, der das Amt vor zehn Jahren von seinem hartleibigen Vater Hafis al-Assad praktisch ererbt hatte, der Ernst der Lage bewusst geworden ist. Am Samstag kündigte er nicht nur die Aufhebung des Ausnahmezustands an, sondern auch eine Reihe neuer Gesetze, die das Wirken der Medien, die Abhaltung von Demonstrationen und die Gründung von politischen Parteien regeln sollen.
"Die Rede beweist", schrieb die arabische Tageszeitung "Al-Sharq Al-Awsat" in einem Kommentar, "dass die Verantwortlichen in Damaskus begriffen haben, dass die Geschehnisse in Syrien nicht Ergebnis einer Verschwörung sind, sondern Ausdruck realer Wünsche der Menschen."
Opposition bleibt skeptisch
Doch werden die Syrer künftig frei ihre Meinung schreiben, frei demonstrieren und frei Parteien gründen können? Assad blieb in dieser Hinsicht merkwürdig unbestimmt. Die syrische Opposition, vom mächtigen Sicherheitsapparat ständig verfolgt und kriminalisiert, zeigte sich deshalb unbeeindruckt und skeptisch. "Diese Rede enthielt nichts, was wir nicht schon gehört hätten", urteilte der Menschenrechtsanwalt Haitham al-Maleh.
Der 80-jährige Jurist saß schon viele Jahre in den Gefängnissen der Assads; erst Anfang März kam er nach zwei Jahren aus der jüngsten Haft frei. "Diesem Regime glaubt niemand mehr", stellte er fest. Es sei auch unverständlich, warum Assad den Ausnahmezustand nicht gleich selbst aufhob - als Präsident ist er ohnehin derjenige, der dies per Erlass tun müsste.
Al-Maleh und andere Oppositionelle befürchten, dass die in Aussicht gestellten neuen Gesetze genügend schwammige Formulierungen enthalten werden, um dem omnipräsenten Sicherheitsapparat weiterhin diktatorische Vollmachten zu gewährleisten. Die Aufhebung des Ausnahmezustands soll mit der Billigung eines neuen Anti-Terror-Gesetzes einhergehen. "Außergewöhnliche Mittel", die bislang mit dem ewigen Konflikt mit Israel begründet werden, könnten dann mit dem "Kampf gegen den Terror" gerechtfertigt werden.
"Ich will nicht weiter für das Regime lügen"
Die Unterstützerbasis des Regimes erodiert indes zusehends. Mohammed Deeb, ein bekannter Journalist des staatlichen Fernsehens, warf am Wochenende den Hut hin und erklärte auf seiner Facebook-Seite, dass er nicht mehr weiter für das Regime lügen wolle. "Einige gestörte, hochrangige Sicherheitsoffiziere handeln auf eigene Faust, indem sie Bürger töten", schrieb er desillusioniert. "Deshalb ist mein Platz an der Seite des arabischen syrischen Volkes."
Der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Ernst Uhrlau, glaubt dennoch an kein schnelles Ende des Assad-Regimes. "Ich sehe im Augenblick in Syrien keinen Prozess, der zu einem radikalen Umsturz führt" wie in Ägypten und Tunesien, sagte er dem "Hamburger Abendblatt" (Montag). Schon Assad senior habe mit der Ermordung von 30.000 Muslimbrüdern in der Stadt Hama im Jahre 1982 "das Regime auf brutale Weise konsolidiert".