Eine Blancpain Villeret kostet 683.000 Euro. Die mechanische Armbanduhr war das teuerste Stück auf der Messe "Baselworld 2011", die kürzlich in der Schweiz zu Ende ging. Ein Großteil der Besucher war aus dem benachbarten Ausland angereist, denn vor allem die Deutschen schwelgen in Reichtum wie seit langem nicht mehr. Zumindest gefühlt: 75 Prozent der Bundesbürger schätzen ihre persönliche wirtschaftliche Lage laut einer Umfrage momentan als gut oder sehr gut ein. Und auch die deutsche Wirtschaft boomt: Nach dem Rekordwachstum im vergangenen Jahr zeichnet sich auch 2011 in vielen Unternehmen ein Jubeljahr ab. Doch bekanntlich werden gerade im Erfolg die größten Fehler begangen.
Zentrale Frage: Wohin fließt das Geld?
Ob die Super-Erträge letztlich der Volkswirtschaft in Form von Investitionen und Arbeitsplätzen zugute kommen, bezweifeln manche Experten. Ihr Credo: Zu viel Reichtum schadet der Wirtschaft. Paradox, denn nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die westdeutsche Wirtschaft jahrzehntelang nach der klassischen Mechanik - "hohe Gewinne bedeuten hohe Investitionen" - funktioniert und Erfolg um Erfolg gefeiert.
Doch mit dem schleichenden Zerfall der sozialen Marktwirtschaft seit den siebziger Jahren verlor diese goldene Regel ihre Gültigkeit. Profite und Investitionen sind mittlerweile stark entkoppelt. Doch wenn hohe Gewinne nicht wieder in ausreichendem Maße reinvestiert werden, können sie jeder Wirtschaft gefährlich werden. Genau das ist aber in Deutschland und in anderen Industriestaaten wie Japan während der zurückliegenden zwei Dekaden geschehen.
Aus Wohlstand wird Krise
Augenblickliche Bestleistungen, wie ein Zuwachs der Exporte um 21 Prozent im Februar, sollten nicht über langfristig heikle Trends hinwegtäuschen. Noch in den 1990er-Jahren stieg die Investitionen inflationsbereinigt jährlich um rund zwei Prozent - international kein Spitzenwert, aber eine gute Quote. Seit dem Jahrtausendwechsel liegen die Investitionen jedoch normalerweise unter diesem Niveau. "Dabei gelten Investitionen als Schlüssel für Wachstum und Wohlstand", heißt es bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. "Sie schaffen Einkommen und Arbeitsplätze."
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Die private Wirtschaft hielt sich im vergangenen Jahrzehnt allerdings spürbar zurück. Die Unternehmen verzeichneten zwar wachsende Gewinne, aber die wurden dem realen Wirtschaftskreislauf entzogen, um auf Festgeldkonten und in hochspekulative Hedge-Fonds zu landen.
Auch in anderen gewichtigen Industrieländern wurden die Profite lange Zeit nicht ausreichend in Maschinen, Fabriken und Büros angelegt, sondern flossen auf die globalen Finanzmärkte. Für die Marburger Professorin Ingrid Kurz-Scherf ein wesentlicher Grund für die 2007 ausbrechende Weltwirtschaftskrise: "Voraussetzung der geplatzten Finanzblase war ganz offenkundig ein gigantischer Überschuss an Rendite suchendem Kapital." Reichtum und Wohlstand sind eben nicht allein sozial und ethisch, sondern auch ökonomisch eine Herausforderung.
Die Löhne sind zu gering gestiegen
Wie konnte es so weit kommen? Die beiden Berliner Ökonomen Katja Rietzler und Jan Priewe haben sich auf die Suche gemacht. Ihr Befund: Unternehmen legten in erster Linie deshalb ihre Gewinne auf den weltweiten Finanzmärkten an, weil sie im Inland zu wenige lohnende Investitionsprojekte sahen. Auch bei besten Angebotsbedingungen investieren Manager eben nur dann, wenn ihre Fabriken auch ausgelastet werden können. Dafür fehlt aber die Inlandsnachfrage. Das sei eine Folge der jahrelangen Lohnzurückhaltung, bemängeln die Forscher.
Manager und Unternehmerverbände teilen diese Position nicht. Sie bezweifeln entweder, dass überhaupt eine Investitionslücke bestehe oder gaben lange Zeit zu hohen Löhnen und Sozialstandards für die fehlende Investitionslust die Schuld. Neue Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen allerdings, dass in Deutschland die maßgeblichen Lohnstückkosten deutlich günstiger ausfallen als in wichtigen Konkurrenzländern wie Frankreich.
Geldvermögen vervierfacht
Während die Löhne in Deutschland weitgehend stagnierten, entlasteten Steuerreformen Unternehmen und hohe Einkommen. Die Folge war ein überproportional wachsender Reichtum in der Wirtschaft und in den beiden oberen Zehnteln der Einkommensbezieher. Das Ergebnis: In den vergangenen zwei Jahrzehnten wuchs das Geldvermögen um fast 300 Prozent, während die Sachanlagen nur um 65 Prozent zunahmen.
Kapital und Reiche bewirken mit ihren "Finanzierungsüberschüssen", wie der Sachverständigenrat der Bundesregierung überflüssigen Reichtum nennt, ein gefährliches Ungleichgewicht. Und das ist ein globales Problem: War noch um 1980 die Realwirtschaft der Finanzwirtschaft quantitativ mit 2:1 überlegen, so ist sie heute mit etwa 1:3 deutlich unterlegen. Anders ausgedrückt: Der Wert aller globalen Geldanlagen ist heute dreimal so hoch wie das jährliche Weltsozialprodukt. Entsprechend groß ist der Kundenkreis, für den eine Armanduhr wie die Blancpain Villeret in Frage kommt.
Hermannus Pfeiffer ist Wirtschaftsexperte und freier Journalist in Hamburg.