Viel Beifall und wenig Kritik für Sarrazin in Halberstadt
Das Kirchen-Gespräch mit Thilo Sarrazin in Halberstadt lockte 400 Besucher an. Von Kritik an Sarrazin war an dem Abend aber wenig zu hören. Der erste Termin war wegen der Kontroverse um den Buchautor abgesagt worden. Der Gemeinderat hatte dann aber den Beschluss gefasst, Sarrazin dennoch einzuladen. Tenor des Abends: "An einigen Stellen hat er Recht".
15.04.2011
Von Karsten Wiedener

Über Monate hagelt es Kritik. Erst wird der kirchliche "Halberstädter Abend" Ende Februar mit dem umstrittenen Buchautoren Thilo Sarrazin abgesagt. Auf den Beschluss des Gemeindekirchenrates zu einer Neuauflage reagieren 18 Kirchenvertreter und Bildungsexperten ablehnend mit einem Offenen Brief. Als der Ex-Bundesbankvorstand dann am Donnerstagabend in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) auf dem Podium vor 400 Besuchern in der evangelischen Moritzkirche Platz nimmt, scheinen die Kritiker weitgehend verstummt.

Rosemarie Borgsdorf, Gemeindemitglied des Evangelischen Kirchspiels, fasst die "Volksmeinung" schon vor der Veranstaltung zusammen: "Ich bin nicht mit allem einverstanden, aber an einigen Stellen hat er recht", sagt sie in eine Fernsehkamera. Zu Zwischenfällen kommt es bei der von Polizisten überwachten Diskussionsrunde nicht. Ein Mann wird aus der Kirche verwiesen, weil er ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Danke, Thilo Sarrazin" trägt. Und er hat ein Pappschild aufgestellt, auf dem "Meinungsfreiheit bewahren!" und "Deutschland, wohin gehst du?" steht. Eine Buchhandlung türmt Sarrazins Bücher auf.

Der neue Termin lag nach der Landtagswahl

Im Februar wurde den Veranstaltern noch vorgeworfen, mit der geplanten Veranstaltung kurz vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im März der rechtsextremen NPD eine Plattform zu bieten. Die Partei wollte Sarrazin als "Wahlkampfhelfer" begrüßen. Der Gemeindekirchenrat entschied sich dann für einen neuen Termin. Eingeladen wurde wieder von dem geschäftsführenden Pfarrer des Kirchspiels, Harald Kunze, und dem früher für Halberstadt zuständigen Pfarrer Hartmut Bartmuß von der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche.

"Ich hoffe, dass wir diejenigen enttäuschen, die meinen, wir packen als Gemeindepfarrer diesen Abend nicht", sagt Bartmuß in Richtung Kritiker. In einem Offenen Brief hatten sie den Veranstaltern indirekt unterstellt, Sarrazin intellektuell nicht gewachsen zu sein. Und es scheint ihnen zumindest teilweise gelungen zu sein. Es sei kein Streitgespräch im klassischen Sinn gewesen; dennoch hätten die Moderatoren viel von den aus christlicher Sicht angebrachten Gegenargumenten aufgenommen, sagt der Beauftragte der Evangelischen Kirchen bei Landtag und Landesregierung, Albrecht Steinhäuser, nach der Veranstaltung.

"Taxifahrer aus Persien" würden Sarrazin zustimmen

Sarrazin benutzt die Fragen der beiden Moderatoren überwiegend als Stichwort für die wortreiche Begründung seiner umstrittenen Thesen zu Integration und Bevölkerungsentwicklung aus seinem Buch "Deutschland schafft sich ab". Es herrsche in der Politik die Tendenz, Probleme zu verleugnen und diejenigen, die sie benennen, abzustrafen, beklagt er. Auch die Medien attackierten Sarrazin. Immer wieder wird er von Beifall unterbrochen, so etwa, als er sagt, "solange sie nicht menschenfeindlich und verfassungswidrig sind, muss man Vorbehalte äußern können". Sogar "Türken" und "alle Taxifahrer aus Persien" würden ihm zustimmen.

Nach fast zwei Stunden bleibt nicht mehr viel Zeit für Fragen aus dem Publikum. Gut eine Handvoll nutzt dennoch die Gelegenheit. Kritisch melden sich die Migrationsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Petra Albert, und der Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, Friedrich Kramer. Beide gehören zu den Unterzeichnern des Offenen Briefes. Sarrazin habe Widersprüche in seinen Thesen nicht aufklären können, alles würde an ihm abprallen, sagt Kramer.

epd