Nato weiter uneins über härtere Gangart gegenüber Libyen
Die Nato-Außenminister reden in Berlin über die Krise in Libyen. In der Allianz gibt es Kritik an dem Militäreinsatz in Nordafrika. Vor allem Paris und London fordern ein härteres Vorgehen der Nato gegen das Gaddafi-Regime.

Einen Tag nach der Libyen-Kontaktgruppe kommen am heutigen Donnerstag die Nato-Außenminister in Berlin zusammen, um über das weitere Vorgehen gegen das Regime von Machthaber Muammar al-Gaddafi zu beraten. Angesichts andauernder Kämpfe in Libyen wird innerhalb des Militärbündnisses eine härtere Gangart gegen Gaddafi gefordert. Alle vorhandenen militärischen Mittel müssten zur Verfügung gestellt werden, hieß es am Mittwochabend nach einem Treffen zwischen Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und dem britischen Premierminister David Cameron.

Frankreich und Großbritannien machen Druck

Beide Länder seien sich einig, dass der Druck auf das Regime in Tripolis erhöht werden müsse, hieß es aus dem Élyséepalast. Gaddafi führe weiter einen Krieg gegen das eigene Volk.

Die US-Regierung warf den Truppen Gaddafis "Gräueltaten" vor. Sie seien für brutale Angriffe auf Zivilisten in der Rebellenhochburg Misurata verantwortlich, sagte Außenministerin Hillary Clinton in Washington. Das Regime versuche, die Stadt auszuhungern.

Sowohl Frankreich als auch Großbritannien hatten zuletzt der Nato vorgeworfen, militärisch in Libyen nicht genug zu tun. Sie fordern offen eine Ausweitung der Angriffe.

Die Außenminister der 28 Nato-Staaten wollen in Berlin auch über Chancen für eine politische Lösung des Konflikts beraten. Die internationale Libyen-Kontaktgruppe hatte Gaddafi am Mittwoch aufgefordert, mit einem sofortigen Waffenstillstand und seinem Rücktritt den Weg für einen Dialog freizumachen.

Libyen-Kontaktgruppe fordert politische Lösung

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte in Katars Hauptstadt Doha, von der Kontaktgruppe gehe eine klare Botschaft an Gaddafi aus: "Das Spiel ist aus. Das gegenwärtige libysche Regime hat keine Zukunft." Er plädierte für einen "politischen Prozess". "Es ist offensichtlich, dass es keine militärische Lösung gibt."

Am ersten Treffen der Kontaktgruppe nahmen die Vertreter von mehr als 20 Staaten und internationalen Organisationen teil, darunter auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Außenminister Guido Westerwelle wies Kritik zurück, Berlin habe sich durch die Enthaltung vor dem UN-Sicherheitsrat ins Abseits begeben. Deutschland sei "alles, aber nicht international isoliert". Deutschland ist an der Militäraktion in Libyen nicht beteiligt.

Die Kontaktgruppe sprach sich dafür aus, die Einrichtung eines Fonds zur Unterstützung der Rebellen zu prüfen. Darin könnte Geld aus Öl-Einnahmen aus den Rebellengebieten sowie dem eingefrorenen Milliardenvermögen des Gaddafi-Regimes einfließen.

Panzer und Munitionsdepot in Libyen zerstört

Mahmud Schammam, ein Sprecher des libyschen Übergangsrates, sagte in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa am Rande des Treffens: "Mehrere Staaten haben sich bereiterklärt, den Revolutionären Militärhilfe zukommen zu lassen, aber sie sind noch dabei, die rechtliche Seite abzuklären." Für die Aufständischen sei es momentan sehr frustrierend, mit inadäquaten Waffen zu kämpfen, "während Gaddafi immer weiter Waffen und neue Söldner ins Land bringt".

Truppen des libyschen Machthabers griffen am Mittwoch erneut Misurata an. Es habe wieder Beschuss und Verletzte gegeben, berichtete ein Einwohner der belagerten Stadt der Nachrichtenagentur dpa am Telefon. Die Aufständischen befürchteten, dass die Regierung eine entscheidende Offensive plane, um die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen.

Die internationalen Truppen zerstörten unterdessen zwölf Panzer in der Nähe des libyschen Ortes Zintan. Außerdem sei südlich von Syrte ein Munitionsbunker zerstört worden, teilte die Nato in Brüssel mit.

Gaddafis Ex-Minister Kussa bleibt in Katar

Dem ehemaligen libyschen Außenminister Mussa Kussa ist der Boden in London zu heiß geworden, weil ihn dort Hinterbliebene der Opfer des libyschen Staatsterrors vor Gericht bringen wollen. Der Nachrichtensender Al-Arabija berichtete am Donnerstag, der Ex-Diplomat und frühere Geheimdienstchef wolle vorerst in Katar bleiben.

Kussa hatte sich Ende März - rund sechs Wochen nach Beginn des Aufstandes in Libyen - nach London abgesetzt und vom Machthaber Muammar al-Gaddafi losgesagt. Er hatte wohl zunächst gehofft, er könne auch im "neuen Libyen" eine wichtige Rolle spielen. Doch die meisten Oppositionellen misstrauen ihm und auch die westlichen Regierungen sind wegen seiner Geheimdienstvergangenheit eher an Informationen von ihm interessiert als an einer Zusammenarbeit.

Nach seiner Ankunft in London war Mussa zum Lockerbie-Anschlag von 1988 befragt worden, den Gaddafi angeordnet haben soll. Er wurde jedoch nicht inhaftiert. Kussas Vorgänger im Außenministerium, Abdurrahman Schalgam, hat Kussa als "Black Box" des Regimes bezeichnet. Schalgam riet den Aufständischen dazu, von Kussas Informationen zu profitieren.

Kussa durfte Großbritannien diese Woche verlassen, um am Mittwoch an dem Treffen der Libyen-Kontaktgruppe in dem Golfemirat Katar teilzunehmen. Das war von einigen Menschenrechtsgruppen und von den Hinterbliebenen der Terroropfer kritisiert worden.

UN: Humanitäre Hilfe in Libyen bisher relativ erfolgreich

Die Vereinten Nationen wollen sich vor einer möglichen Anfrage für militärische Unterstützung der EU in Libyen ein klareres Bild von der momentanen Lage in dem nordafrikanischen Land verschaffen. Eine UN-Mission sei derzeit in Bengasi, um die nötigen Informationen einzuholen, teilte das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) in New York mit.

OCHA-Sprecherin Stephanie Bunker sagte am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa, die von dem UN-Hilfsbüro geleiteten Hilfsaktionen würden bisher relativ gut durchgeführt. Sie erreichten große Teile der Bevölkerung, so dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine militärischen Unterstützung der Europäischen Union nicht nötig sei.

Ein solcher Einsatz berge auch die Gefahr, dass zivile Helfer und UN-Mitarbeiter mit den Soldaten assoziiert werden könnten, sagte die Sprecherin. Diesen Eindruck wolle man vermeiden.

dpa