"Die eigene Identität erschafft man sich selbst"
In seiner intelligenten Liebeskomödie "Der Name der Leute" erzählt der französische Filmemacher Michel Leclerc von dem amtlichen Veterinärmediziner Arthur (Jacques Gamblin), der als Sohn einer Holocaust-Überlebenden ein zurückgezogenes und risikoarmes Leben führt, bis er die beherzte Politaktivistin Bahia (Sara Forestier) kennenlernt, die ihren arabischen Nachnamen voller Stolz trägt und rechtsgerichtete Männer mit einer eigenwilligen Strategie umzupolen versucht. Eine Liebeskomödie aus dem Herzen der multikulturellen Gesellschaft, die das Konzept von kollektiven, familiären und politischen Identitäten kräftig durcheinander gewirbelt.
13.04.2011
Die Fragen stellte Martin Schwickert

Im französischen Kino häufen sich zurzeit politische und historische Filme, die die Geschichte neu bewerten. Wie kommt es zu dieser Re-Politisierung?

Leclerc: Die französische Gesellschaft ist heute reif genug, sich mit bestimmten Themen neu auseinanderzusetzen. Das liegt an der jungen Generation, die ganz andere Frage stellt, als ihre Eltern. Aber ein anderer Grund ist auch Sarkozy. An seiner Person kristallisieren sich sehr gut die Spannungen innerhalb der französischen Gesellschaft heraus. Sarkozy legt Fragen, wie die nach der nationalen Identität, auf den Tisch und die Künstler und Filmemacher reagieren darauf. Die französische Gesellschaft ist heute sehr heterogen. Ihre Mitglieder vertreten vollkommen unterschiedliche Positionen. Auch darauf reagieren die Künstler und fragen: Wie können wir überhaupt zusammenleben, wenn wir aus solch verschiedenen Kulturkreisen stammen?

"Der Name der Leute" setzt sich kritisch mit dem Bedürfnis nach einer kollektiven Identität auseinander. Woher kommt Ihre Skepsis gegenüber dieser Idee der Herkunftsgemeinschaft?

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Leclerc: In Frankreich bringt man den Kindern in der Schule bei, dass die Gallier unsere Vorfahren sind. Natürlich stammen die wenigsten französischen Kinder direkt von den Galliern ab. Diese gemeinsame Identität ist ein Konstrukt. Deshalb kann meines Erachtens auch ein Franzose, der aus Martinique oder China kommt, durchaus behaupten, dass seine Vorfahren die Gallier sind. Denn die eigene Identität ist etwas, das man sich selbst erschafft. In meinem Film haben die beiden Hauptfiguren sehr komplexe Identitäten und lassen sich auch von ihrer Herkunft her nicht in eine Schublade stecken. Identität ist etwas, das man sich selbst aussucht und das man auf keinen Fall jemanden aufoktroyieren darf.

Die eigene Identität dient jedoch auch immer der Abgrenzung gegenüber anderen…

Leclerc: Und genau da fängt es an, gefährlich zu werden - wenn man Andere ausgrenzt, weil man sich auf die eigene Identität beruft. Viele sagen "Ich bin Franzose", "Ich bin Jude" oder "Ich bin Moslem" und benutzen das als Waffe. Ich kämpfe mit meinem Film dagegen, dass man andere ausschließt, weil man sich einer bestimmten Gemeinschaft zugehörig fühlt.

Der Film hat auch stark autobiografische Bezüge…

Leclerc: Als ich meine Lebensgefährtin Baya Kasmi, mit der ich auch das Drehbuch geschrieben habe, kennen lernte, haben wir unsere Familiengeschichten miteinander verglichen. Zunächst sah so aus, als seien unsere beiden Familien – sie ist Tochter eines algerischen Vaters und ich Sohn einer jüdischen Mutter - von ihrer Herkunft her vollkommen gegensätzlich. Aber dann haben wir gemerkt, dass unsere Eltern allesamt von gewissen Themen der französischen Geschichte getrieben sind: vom Zweiten Weltkrieg, vom Algerienkrieg, aber auch von den Revolte im Mai 1968. Mein Name klingt erst einmal sehr französisch, dennoch ist die Herkunftsgeschichte dahinter sehr viel komplexer. Bei Baya bringt ihr Vornamen die Leute zum Träumen, weil sie an Brasilien denken. Wenn sie dann erzählt, dass ihr Vater Algerier ist, hören die Träume ganz schnell wieder auf. Wenn sie dann hinzufügt, dass ihre Mutter Französin ist, wird sie wieder mehr akzeptiert.

In ihrem Film schläft Bahia mit rechtsgerichteten Männern, um sie von ihrem rassistischen Gedankengut zu befreien. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Leclerc: Bahia schläft mit ihren politischen Feinden, weil sie so einen viel direkteren Kontakt zu ihnen hat und sie durch diese Nähe auch leichter beeinflussen kann. Der Auslöser für diese Idee war eine frühere Liebesgeschichte von Baya. Ihr Vater ist, wie gesagt, Algerier, aber ihr sieht man das überhaupt nicht an. Mit Anfang Zwanzig hat sie ein Typ angemacht, der offensichtlich dem rechtsextremen Spektrum angehörte. Sie hat sich ganz absichtsvoll auf eine Affäre mit diesem Mann eingelassen, um ihm dann sagen zu können, dass er gerade mit einer Araberin geschlafen hat.

Warum haben Sie für dieses komplexe Thema die Form der Komödie gewählt?

Leclerc: Eine Komödie ist das bessere Medium, um schwierige Themen zu verarbeiten. Ich möchte den Zuschauern mit meinen Filmen ja auch Freude bereiten. Humor ist eine höflichere Form über die Welt und ihre Schwächen zu reden.

In vielen europäischen Staaten die multikulturelle Gesellschaft bereits als gescheitert erklärt. Ihr Film hingegen hat eine sehr viel positivere Sicht…

Leclerc: Wir wollten einfach damit aufhören immer nur darauf zu verweisen, wie die verschiedenen Kulturen uns voneinander trennen, und stattdessen darauf schauen, was sie zusammenführt. Aber eigentlich ist "Der Name der Leute" nicht ein klassische Multi-Kulti-Film, in dem etwa ein Jude auf einen Moslem trifft, die dann lernen sich gegenseitig zu akzeptieren. Die beiden Menschen, die hier aufeinander treffen, sind ja selbst schon eine Mischung aus verschiedenen Kulturen sind. Wir sind da schon einen Schritt weiter. Baya und Arthur gehören der zweiten Generation an. Sie sind mit der französischen Kultur aufgewachsen. Dies ist ein Film über Bastarde, denn die – davon bin ich fest überzeugt - sind die Zukunft der Menschheit.


Martin Schwickert ist freier Filmjournalist.