In Anbetracht von Fukushima, Libyen und dem Euro-Krach wirkt der Internationale Währungsfonds (IWF) beruhigend wie ein Meer der Stille. Die Weltwirtschaft werde in diesem Jahr um 4,4 Prozent und um 4,5 Prozent im kommenden Jahr zulegen, prognostiziert er in seinem neuen Weltwirtschaftsausblick. Für die Schwellenländer wird sogar ein Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes, kurz BIP, von 7,5 Prozent prognostiziert. Unter den Industriestaaten schneiden die USA und Deutschland als Spitzenreiter im Euro-Raum besonders gut ab, und selbst für das krisengeschüttelte Japan rechnet der IWF für dieses Katastrophenjahr noch mit einem Wachstum von 1,4 Prozent. Dabei unterstellen die Ökonomen des Fonds, dass Erdbeben-, Tsunami- und Atomkrise innerhalb einiger Monate gelöst seien, und der Wiederaufbau des zerstörten Landes das Wachstum unterm Strich sogar befördert - die Katastrophe als Wachstumsmotor.
Schwarze Schwäne versetzen das Meer der Wirtschaft in Aufruhr
Wenigstens beim Stichwort Japan verriet Olivier Blanchard, Chefvolkswirt des IWF, auf der Pressekonferenz am Montag in Washington Unsicherheit darüber, was die Zukunft bringen werde. Die japanische Tragödie gilt als „schwarzer Schwan“. Damit bezeichnen Wissenschaftler unverhoffte Großereignisse, die alle klassischen Modelle der Ökonomik sprengen. Modelle, mit denen Politiker Politik machen, Manager milliardenschwere Investitionen begründen und mit denen in Sozialsystemen Renten gekürzt werden. Dabei hatten diese Modelle bereits ohne unverhofft auftauchende Schwäne versagt, als es lediglich darum ging, rechtzeitig vor der größten Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren zu warnen. Restrisiko konkret. Den Ausläufern können wir noch allerorten nachspüren.
Doch noch andere Schwäne könnten das Meer der Wirtschaft schnell wieder in Aufruhr versetzen. Neben dem Erdbeben vor der japanischen Küste gelten die Unruhen in Arabien und Nordafrika mit dem Krieg in Libyen als gewaltiger schwarzer Schwan. Es geht mal wieder ums Öl. Der IWF betrachtet einen längerfristigen Anstieg des Ölpreises als größtes Risiko für seinen Optimismus. „Wir glauben nicht, dass die gestiegenen Rohstoffpreise die Erholung aus dem Gleis werfen“, machte Blanchard Mut. Doch glauben bedeutet bekanntlich nicht wissen.
Libyen sowie die Schuldenkrise im Euroraum und in Amerika
Selbst bei einem politischen Aus von Libyens Staatschef Gaddafi könnte die Bedeutung der Despoten im globalen Öl-Monopoly noch zunehmen. Die Hitliste der Ölreserven führen mit Saudi-Arabien, Iran, Irak, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten gleich fünf Staaten an, die nicht gerade als demokratische Musterrepubliken gelten, sondern mehr oder weniger autokratisch regiert werden. Arabische Staaten und Länder im mittleren Osten geben außerdem den Ton an in der Opec, der Organisation erdölexportierender Länder. Auf die Opec entfallen zwei Drittel der Förderung weltweit. Tendenz steigend, da die meisten Nicht-OPEC-Länder den Höchststand bei der Förderung überschritten haben, während die meisten Opec-Mitglieder noch lange aus dem Vollen werden schöpfen können.
Als dritter schwarzer Schwan gilt Ökonomen die Staatschuldenkrise im Euroraum. Nach Griechenland und Irland wird im Mai auch Portugal sein in dieser Woche von der Europäischen Union beschlossenes milliardenschweres Hilfspaket erhalten. Und niemand weiß, ob in den kommenden Wochen, Monaten, Jahren nicht noch weitere schwarze Schwäne auftauchen. Restrisiko.
Hinter den Kulissen bereiten zudem altbekannte Probleme den Experten schon genug Kopfzerbrechen. Amerikas Schuldenkrise spitzt sich weiter zu. Die Staatsschuld wird bald auf rund 120 Prozent des BIP wachsen - griechische Dimensionen und weit höher als in Portugal. Verschuldet sind die USA fast vollständig im Ausland. Auch in China, dass mit seiner Billigwährung Renminbi seine Exporte auf Kosten Dritter beflügelt, ebenso wie Deutschlands Sozialpartner es mit niedrigen Lohnstückkosten tun, wie es die neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen.
Frühjahrstagung des IWF: Restrisiko im Blick
Schon ein aktives Restrisiko bildet der sich vertiefende Riss, der Gewinner von Verlierern trennt, wie sie der neue Weltwirtschaftsausblick „World Economic Outlook“ auch zeigt. Die EU polarisiert sich, statt zusammen zu wachsen. Und die Internationalisierung des großen Kapitals aus den USA, EU und Japan geht einher mit der Verlagerung der Wachstumspole in die ehemalige Peripherie, nach China und Indonesien, Brasilien und Südafrika. In und um diese Schwellenländer herum, herrscht oft bittere Armut.
In Washington erwartet der IWF am Sonnabend und Sonntag die Finanzminister und Notenbankchefs der Welt zu seiner Frühjahrstagung. Die Gespräche werden sich um die Lage der Weltwirtschaft und die Reform des Weltwährungssystems drehen. Und wie bei einer richtigen Regierung ums Geld: Der IWF will neue Geldquellen anzapfen, um ein globales Sicherheitsnetz zu finanzieren und sich selber zu stärken. Gegen das Restrisiko.
Hermannus Pfeiffer ist Wirtschaftsexperte und freier Journalist in Hamburg.