Der Anschlag in Weißrussland verschärft die Krise im Land
Sprengsätze in der Metro am Präsidentensitz der autoritären Ex-Sowjetrepublik Weißrussland haben mindestens elf Menschen in den Tod gerissen. Rund 100 weitere Passagiere werden schwer verletzt, als es am Montag mitten im Minsker Feierabendverkehr an der zentralen Station Oktjabrskaja zu den Explosionen kommt. Die Behörden sprechen schon kurz nach dem Blutbad von einem Terroranschlag.

Regierungskritische Beobachter haben Zweifel an der offiziellen Version. Sie sehen in dem Anschlag ein mögliches Manöver des "diktatorischen Regimes" von Staatschef Alexander Lukaschenko, um von der Krise im Land abzulenken. Von "internen Machtspielen" schreiben anonyme Blogger etwa bei livejournal.ru. Oder der russische Geheimdienst FSB habe die Finger im Spiel, um die Lage im Nachbarland weiter zu destabilisieren, wie der Blogger nanoagent meint.

Blutüberströmt und schockiert rennen Menschen aus der Metro, fassungslos suchen sie nach Erklärungen für die Gewalttat. Und nicht Wenigen schießen die Ereignisse vom Juli 2008 in den Kopf. Damals detoniert am Rande eines Konzerts eine Bombe. In der Nähe hält der von Menschenrechtlern als letzter Diktator Europas kritisierte Lukaschenko eine Rede zum Tag der Unabhängigkeit. Knapp eine Woche nach dem Bombenanschlag mit 50 Verletzten nimmt die Polizei vier Verdächtige fest. Der Vorwurf lautet Terrorverdacht.

Weitgehend abgeschottet

Die Verdächtigen von damals sollen Mitglieder der nationalistischen Untergrundorganisation Weiße Legion sein, die sich zur Gewalt gegen staatliche Organe bekenne, schreiben Medien damals. Doch aufgeklärt wird der Fall nie. Vielmehr sprechen schon damals Experten prompt von einem Ablenkungsmanöver. "Bei uns gibt es anders als in Russland kein Tschetschenien und ohnehin fast kaum Ausländer. Das Land ist weitgehend abgeschottet", sagt die weißrussische Politologin Marina Rachlej. Anders als Russland mit seinem islamisch geprägten Konfliktgebiet Nordkaukasus hätten die Behörden in Weißrussland bisher nicht von einer Terrorgefahr gesprochen.

Beobachter sehen Lukaschenko unter starkem innenpolitischen Druck. Seit seiner Wiederwahl im vergangenen Dezember sind seine Umfragewerte im Sinkflug. Nach den gewaltsam aufgelösten Protesten von Regierungsgegnern gegen den manipulierten Wahlsieg sitzen viele Oppositionelle im Gefängnis. Auch Journalisten beklagen seit Monaten ein weiteres Anziehen der ohnehin schon festen Daumenschrauben. Viele Weißrussen leben in Angst in ihrem Land, das als letztes in Europa die Todesstrafe vollstreckt - und Verurteilte erschießt.

Als Reaktion auf die Unterdrückung Andersdenkender verschärfen zuletzt auch die Europäische Union und die USA die Sanktionen gegen Lukaschenkos Regierung. Seither klagen viele Menschen über eine zunehmend angespannte Wirtschaftslage. Es herrscht Angst vor einem Totalverfall des Rubels. Seit Tagen schon gibt es keine Euro oder Dollar mehr zu kaufen. Viele Menschen horten Lebensmittel.

Kampf gegen Staatsbankrott

Die klamme Führung hofft unterdessen darauf, einen drohenden Staatsbankrott mit Milliardenkrediten abzuwenden. Zwei Milliarden US-Dollar hat Minsk bei früheren Sowjetrepubliken beantragt. Eine Milliarde US-Dollar soll zusätzlich von Russland kommen. Zudem ist die oft noch sowjetische geprägte Kommandowirtschaft traditionell von russischen Energiesubventionen beim Gas- und Ölimport abhängig. Experten geben die Auslandsverschuldung des Landes mit seinen rund 9 Millionen Einwohnern mit mehr als 25 Milliarden US-Dollar an.

Finanzielle Hilfen des Westens im Gegenzug für demokratische Reformen lehnt Lukaschenko bislang ab. Zugleich hat er scharfe Reaktionen gegen die Strafmaßnahmen der EU und der USA angekündigt. Wenn der Westen in Weißrussland unruhige Zustände wie in Tschetschenien wolle, "dann ist das kein Problem", sagt Lukaschenko im vergangenen Februar. Kurz zuvor noch beschuldigt er allerdings auch Deutschland des versuchten Staatsstreichs gegen ihn.

dpa