Seine Lieblingszigaretten waren überall ausverkauft, die Wasserflaschen rationiert. Doch davon abgesehen fand Wolfgang Behrend alles ziemlich normal, als er mit seiner Frau Yuko nach zwei Wochen in Deutschland nach Yokohama zurückkam. Auf der Schnellstraße vom Flughafen nach Hause der übliche Stau. Das Sushilokal um die Ecke war um halb drei am Nachmittag so voll wie immer. "Yokohama ist sauber", sagt der 62-jährige Bosch-Manager. Die Messwerte checkt er nun täglich im Netz.
"Alle waren froh, wieder da zu sein"
Wolfgang Behrend hat wie so viele Ausländer dem Land wegen der atomaren Bedrohung den Rücken gekehrt. Nun gehört er zu der Schar von Westlern, die es zu ihrer Arbeit, in ihr Zuhause, in ihr Leben in Japan zurückzieht. Und die sich nicht einschüchtern lassen wollen von Berichten über beschädigte Reaktoren, radioaktiv belastetes Wasser und drohende Kernschmelzen.
Die Rückkehr ist nicht für alle einfach. "So viele sind planlos und kopflos geflüchtet", sagt Behrend. "Ich habe meine Mitarbeiter drei Tage lang vorbereitet." Bis zum Mittwoch nach dem Erdbeben ist er zur Arbeit gegangen. Er hat seinen Heimurlaub angekündigt und den anderen freigestellt, sich ebenfalls in Sicherheit zu bringen. Der erste Arbeitstag nach seiner Rückkehr war vielleicht deshalb recht normal. "Ich hatte ein etwas schlechtes Gewissen. Doch ich habe wie immer deutsche Schokolade als Mitbringsel verteilt. Und alle waren froh, wieder da zu sein."
Nicht so entspannt war es für den 30 Jahre alten Schweizer Marko Z. Seinen ohnehin geplanten Urlaub in Hongkong verlegte er lediglich um vier Tage nach vorne. Sein Chef fand das nicht weiter tragisch. Doch die japanische Assistentin in der kleinen Personalberatung in Tokio hatte kein Verständnis. "Sie hat mir vorgeworfen, ich würde meine Verantwortung für die Arbeit wegwerfen", erzählt Marko Z. Er kehrte am Ende seines Urlaubs wie geplant zurück - auch weil er im Büro tatsächlich Verantwortung trage. Der Streit mit seiner Kollegin ist aber nicht ausgeräumt. "Ich habe mich entschuldigt, aber ich weiß nicht, ob es angekommen ist."
"Ich kann überall arbeiten"
Solche Probleme hatte Mehmet Cihangir Oguz nicht: "Ich kann überall arbeiten." Der türkisch-japanische Software-Entwickler ist in Tokio aufgewachsen, sein zweiter Name ist Chimaki Furusawa. Nach dem Beben flog er spontan für zwei Wochen zu Freunden nach Singapur, um auf andere Gedanken zu kommen. "Ich habe mich dort viel besser gefühlt."
Warum ist er nicht geblieben? "Die Gründe, warum ich gegangen bin, sind alle hinfällig geworden", sagte der 35-Jährige. Erstens sei keine hoch radioaktive Wolke über Tokio hinweggezogen. Die Strahlungswerte seien weiter verschwindend gering. Zweitens seien Wasser- und Nahrungsvorräte nicht so knapp, dass man Angst haben müsse, sie unnötig zu beanspruchen. Drittens bebe die Erde inzwischen viel seltener. Auch wenn sich am späten Donnerstagabend wieder gezeigt hat, dass starke Nachbeben die Region jederzeit wieder heimsuchen können.
Auch Oguz schaut nun jeden Tag im Internet nach, wie hoch die Radioaktivität in der Gegend ist. "Ich mache mir überhaupt keine Sorgen", sagt er. So viele Privatleute mit Geigerzählern stellten ihre Messwerte ins Netz. Auch seine Freunde hätten ein Strahlenmessgerät aus Russland mitgebracht. Und die zum Stromsparen weniger hell erleuchteten Straßen gefallen ihm sogar besser. "Ich mag es etwas abgedunkelt. Vorher war es einfach zu viel."
Der Brite Jonathan Sparks ist ebenfalls froh, wieder in Tokio zusein. "Es sieht nicht so aus, als würde es schlimmer werden", sagt er. Der Super-GAU, den so viele befürchtet hatten, sei bisher nicht eingetreten. Und wenn er doch noch kommt? Dann will sich der 31-Jährige einfach wieder in den Zug nach Kyoto oder ins Flugzeug nach London setzen. Bis dahin büffelt er weiter in seinen Lieblingscafés für seine Prüfungen - und muss dort wie immer für einen Platz anstehen.