Philippinen: Harmonie aus dem Reisfeld
Ernährungssicherheit für alle Gruppen schafft Frieden: Ein vom deutschen Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) unterstütztes Projekt bringt philippinische Muslime und Christen an einen Tisch.
11.04.2011
Von Michael Lenz

Die Menschen im Dörfchen Kanipan im Verwaltungsbezirk Palimbang sind Reisbauern und Fischer. Palmen spenden ihren bescheidenen Hütten am Ufer der Celebessee auf Mindanao Schatten vor der heißen Tropensonne. Die Insel im Süden der Philippinen, groß wie Bayern und Hessen zusammen, ist seit Jahrzehnten Schauplatz eines bewaffneten Konflikts. Muslimische Rebellen kämpfen gegen die philippinische Armee für einen unabhängigen Muslimstaat auf Mindanao und Palimbang ist eine ihrer Hochburgen.

Anabelle Hutalla hat auftischen lassen. Rotbarbe frisch aus dem Meer mit süss-saurer Sauce, in einer Marinade aus Kokos und Trockenfisch gekochtes Rattan, ein Hühnchen als Suppe und gegrillt, dazu ein lauwarmes Farngemüse, rohe Gurken und Reis aus eigenem organischen Anbau. "Es kommen nicht viele Ausländer her", sagt die fröhliche Frau.

Die Verhältnisse in dem mehrheitlich von Muslimen sowie einigen Christen bewohnten Kanipan sind bei weitem nicht so opulent wie das Mittagessen für den Gast aus Deutschland. Obwohl das Dorf in der fruchtbaren Küstenebene mit den weiten Reisenfeldern, Bananenplantagen und Kokospalmhainen eigentlich wohlhabend sein könnte, wäre da nicht der Krieg. Die Dörfer in Palimbang in der Provinz Sultan Kudarat sind von der Außenwelt weitgehend isoliert, die wirtschaftliche Entwicklung stagniert, die beiden verfeindeten Gruppen begegnen sich mit Misstrauen.

Moros – Minderheit im eigenen Land

Mindanao ist seit Jahrhunderten die Heimat der muslimischen Bangsamoros, oder kurz Moros. Mit einem Bevölkerungsanteil von 30 Prozent sind sie heute durch die Ansiedlung von Christen aus anderen Teilen der Philippinen jedoch zur Minderheit geworden. Die auf den Philippinen alles beherrschenden reichen Familienclans hatten ihr begehrliches Auge auf die reichen Bodenschätze wie Gold und Silber, Mangan und Eisenerz, aber auch auf das Holz der Tropenwälder und den äußerst fruchtbaren Boden Mindanaos geworfen. Die Lumad, die Ureinwohner Mindanaos, und die Muslime kannten keine verbrieften Landrechte.

Das nutzten die philippinischen Behörden, um das Land für die Siedler in Besitz zu nehmen.
Als Reaktion auf ihre Entrechtung und Unterdrückung - insbesondere während der Diktatur Präsident Ferdinand Marcos - begannen Moro-Rebellenmilizen Anfang der 1970er Jahre den bewaffneten Kampf für einen unabhängigen Moro-Staat. Ein 1996 geschlossener Friedensvertrag mit der Moro National Liberation Front (MNLF) führte zur Gründung der Autonomen Region im muslimischen Mindanao (ARMM). Aber die Moro Islamic Liberation Front (MILF), eine Abspaltung der MNLF, kämpfte weiter. Seit diesem Februar verhandelt sie mit der Regierung der Philippinen über einen Frieden auf Mindanao.

Die Rebellen beider Organisationen sind noch aktiv und jederzeit bereit, wieder zu den Waffen zu greifen, wie sich in Palimbang ahnen lässt. Versteckt in den Palmenhainen in der Nähe der Dörfer und in den schwer zugänglichen Bergen befinden sich Rebellencamps. Der Übergang zwischen dem Leben als Reisbauer und als Kämpfer mit Kalaschnikow ist fließend.

Die Macht der Clans macht die Philippinen gefährlich

Auf der Risikokarte für die Philippinen der deutschen Entwicklungshilfeorganisation GIZ ist die Region von Palimbang gelb gefärbt. Gelb steht für "moderates Risiko" und ist die vierte von insgesamt sechs Risikostufen. Zu den beiden untersten Stufen "vernachlässigbar" und "niedrig" heißt es lapidar: gibt es nicht auf Mindanao. Nicht nur die Rebellen machen Mindanao zu einem gefährlichen Gebiet. Als "Lost Commands" titulierte Splittergruppen von MILF und MNLF führen ihren eigenen Krieg. Hinzu kommen die philippinische Armee, die Polizei sowie die hochgerüstete Privatarmeen der herrschenden Familienclans. Dann gibt es noch eine auf Kidnapping spezialisierte Mafia sowie die islamistische Terrororganisation Abu Sajaf. Zudem wird man das Gefühl nicht los, dass die Grenzen zwischen allen diesen bewaffneten Akteuren ziemlich fließend sein könnten.

Einer dieser allmächtigen muslimischen Clans sind die Ampatuans, Namensgeber eines der blutigsten Massaker in der Geschichte der Philippinen. Ende November 2009 ließen die Ampatuans auf einen Schlag 24 Familienmitglieder eines gegnerischen Clans plus 34 Journalisten brutal ermorden, um so die Kandidatur des gegnerischen Clanchefs für das Amt des Gouverneurs zu verhindern.

Die Ampatuans, die lange Zeit die Gouverneure der Provinz Maguindanao sowie der ARMM stellten und
Bürgermeisterposten als ihre Erbhöfe ansahen, waren enge Verbündete der damaligen philippinischen Staatspräsidentin Gloria Arroyo. Die als korrupt geltende Arroyo war den Ampatuans verpflichtet, weil der Clan ihr zur Präsidentschaft verholfen hatte. Auf wundersame Weise gab es bei den Wahlen 2004 im Herrschaftsgebiet der Ampatuans für keinen der Gegenkandidaten von Arroyo auch nur eine einzige Stimme.

Harmonie aus dem Reisfeld

An dem reich gedeckten Mittagstisch im bescheidenen "technischen Zentrum" der Hilfsorganisation Pasali sitzen an diesem Mittag in Kanipan friedlich vereint die Katholikin Hutalla, der Muslim Mokamad Q. Kusain und Alvaro Casuga, ein Lumad. "Obwohl wir hier zusammen leben, hatten wir früher kaum Kontakte untereinander", sagt Kusain, während seine Hand Kauf dem Knie des protestantischen Casuga liegt. Casuga lächelt und ergänzt: "Über die Muslime gab es viele Gerüchte, von denen wir jetzt wissen, dass sie falsch waren."

Initialzündung für das Miteinander der verfeindeten Gruppen war die praktische Arbeit der von philippinischen Emigranten in Holland gegründete Hilfsorganisation Pasali. Der simple Ansatz: Ernährungssicherheit für alle Gruppen schafft Frieden. Pasali hat den Bauern in Palimbang eine effektivere Methode des Reisanbaus beigebracht, die ohne chemischen Dünger und Unkrautvernichtungsmittel auskommt.

Die einzige Bedingung des finanziell vom deutschen Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) unterstützten Projekts lautet: Zusammenschluss zu einer "Tri-People Kooperative". Bereitwillig gibt Hutalla zu, dass alle nur zögerlich über ihren eigenen Schatten gesprungen sind. Das änderte sich erst, als der Erfolg des Projekts im Trizonesien a la Palimbang langsam sichtbar wurde. Die Ernteerträge verdoppelten, die Kosten der Bewirtschaftung der Felder sanken. Und Christen, Muslime und Lumad reden, arbeiten und feiern gar inzwischen zusammen.

Frieden – Und dann?

Die Friedensverhandlungen sehen die Menschen in Kanipan mit gemischten Gefühlen. Sicher, Frieden wollen sie alle. Aber was kommt dann? Dass auf den notorisch korrupten Philippinen Frieden nicht mit Entwicklung und Wohlstand für das breite Volk einhergeht lässt sich in der ARMM erleben, die zu den ärmsten Regionen der Philippinen gehört. Von dem von der Regierung in Manila zugewiesenen Budget kommt vielleicht 20 Prozent in der Region an. Der Rest verschwindet in den Taschen korrupter Politiker und raffgieriger, feudalistischer muslimischer Clans.

Die gut ausgebaute Straße aus dem 160 Kilometer dem General Santos City endet gut 30 Kilometer vor dem Dorf. An das Stromnetz sind Kanipan und die anderen Dörfer nicht angeschlossen. Versorgung mit sauberem Wasser ist problematisch, das nächste Krankenhaus ist weit, die Schulen marode. Durch das Miteinander ist den Christen, Muslimen und Lumads bewusst geworden, wie sehr sie gleichermaßen unter Unterentwicklung und Korruption leiden, dass es in dem Konflikt nicht um Religion, sondern um soziale und wirtschaftliche Rechte geht.

Sie merken zudem, dass sie gemeinsame Vorstellungen von ihrer Zukunft haben. So sind sich einig in ihrer Ablehnung der Bodenschätze durch internationale Bergbaumultis. "Der Bergbau schadet uns. Er bringt nur Arbeitsplätze für wenige. Aber er zerstört unsere Umwelt und damit die Lebensgrundlage vieler", sagt Kusain. "Wir wollen unser Leben als Bauern nicht aufgeben. Wir brauchen eine bessere technische Ausrüstung. Dann könnten wir drei, statt jetzt zwei Reisernten pro Jahr erzielen."

Aber schon jetzt sind die Menschen in Kanipan stolz auf das, was sie in nur zwei Jahren erreicht haben. "Nachbarbezirke wollen unser Tri-People-Model jetzt kopieren", erzählt Hutalla mit sichtlicher Freude beim Mittagessen. Nicht nur Liebe geht durch den Magen.


Michael Lenz ist freier Korrespondent in Asien.