"Ein Ende des Krieges in Libyen scheint nicht wahrscheinlich"
Die Nato bombardiert Gaddafis Truppen in Libyen, um Zivilisten zu schützen. Das funktioniert nur eingeschränkt. Im Interview mit evangelisch.de erklärt Matthias Dembinski von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, welche Aufgabe die Nato in Libyen eigentlich erfüllt, welches Bild Deutschland abgibt und wie der Krieg enden könnte.
08.04.2011
Die Fragen stellte Hanno Terbuyken

Was ist das Ziel der NATO in Libyen?

Matthias Dembinski: Die NATO übernimmt mit der operativen Kontrolle der militärischen Mission auch die Ziele des Einsatzes, der von einer Koalition von willigen Staaten unter Führung Frankreichs, der USA und Großbritanniens begonnen worden war. Rechtlich stützt sich die Mission auf die Resolution 1973 des VN-Sicherheitsrats vom 17. März. Darin werden "alle erforderlichen Maßnahmen" autorisiert, um zwei Ziele zu erreichen: Zivilisten und zivil besiedelte Gebiete und namentlich Benghasi zu schützen sowie ein Flugverbot durchzusetzen.

Daneben haben die Staatschefs einiger beteiligter Staaten das politische Ziel formuliert, dass Oberst Gaddafi gehen muss und beim politischen Neubeginn in Libyen keine Rolle spielen darf. Derzeit scheint das weitergehende Ziel eines erzwungenen Regimewechsels bei den militärischen Operationen der NATO keine Rolle zu spielen. Diese Aussage steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass die militärischen Operationen der NATO im Detail von außen nicht genau nachzuvollziehen sind.

Die USA haben sich aus dem Bombardement in Libyen zurückgezogen, nachdem sie zwei Wochen lang die Mehrheit aller Einsätze geflogen haben. Kann die NATO unter der Führung von Frankreich und Großbritannien diese Aufgaben erfolgreich übernehmen?

Dembinski: Wie erwähnt, hat die Koalition der willigen Staaten bzw. die NATO das erste Ziel, die Durchsetzung des Flugverbots, erreicht. Das Flugverbot wird die NATO auch ohne Beteiligung der USA weiter durchsetzen können. Der Schutz der Zivilbevölkerung ist ein weitergehendes Ziel.

Die USA haben in der ersten Phase der Operation den größeren Teil der Einsätze geflogen, die sich gegen kleine und bewegliche Ziele am Boden wie Panzer und Geschütze richteten. Sie verfügen über Flugzeuge wie die A-10, die auf derartige Einsätze ausgelegt sind. Möglicherweise könnte sich der Verzicht auf diese und ähnliche Flugzeuge auswirken. Hinzu kommt, dass zumindest Vertreter der Rebellen monieren, dass die Entscheidungsprozesse und operativen Verfahren der NATO zu langsam oder zumindest langsamer sind, als die der Staaten der Koalition.

"Der Einsatz von Bodentruppen

wäre nicht durch

das Mandat gedeckt"

 

Die Resolution des UN-Sicherheitsrates sieht die Einrichtung einer Flugverbotszone und weitere militärische Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung vor. Von einem Sturz Gaddafis ist da keine Rede. Was passiert, wenn die Rebellen in Libyen keine wesentlichen Fortschritte erzielen?

Dembinski: Mit der Einschränkung, dass uns als Beobachter nur unzureichende Informationen zur Verfügung stehen, spricht einiges für die Erwartung, dass sich in dem Krieg eine militärische Pattsituation ergeben könnte. Dann erschienen zwei Szenarien möglich: Zum einen eine politische Lösung, die Mechanismen für eine Machtteilung zwischen den Oppositionsgruppen und führenden Repräsentanten des bisherigen Regimes einschließen müsste. Zum anderen eine Verlängerung des Krieges. Das zweite Szenario erscheint gegenwärtig leider wahrscheinlicher, weil die gegenwärtig militärisch unterlegene Seite – die Rebellen – hoffen können, dass die Zeit für sie arbeitet.

Kann man mit einer Flugverbotszone und dem Bombardement aus der Luft die Zivilbevölkerung überhaupt schützen?

Dembinski: Auf diese Frage gibt es keine eindeutigen Antworten. Aus der jüngsten Geschichte sprechen zwei Ereignisse für sehr unterschiedliche Einschätzungen. Im Kosovo gelang es 1999 mit Luftangriffen in keinster Weise, die Zivilbevölkerung zu schützen. Im Gegenteil reagierten die damals noch offiziell jugoslawischen Streitkräfte auf den Beginn der Bombardierungen durch die NATO mit der großangelegten Vertreibung der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo. In Afghanistan gelang es den USA hingegen zu Beginn des Krieges, die militärischen Einheiten der Taliban im Wesentlichen mit Hilfe von Luftangriffen (und der Unterstützung der Nordallianz) innerhalb kürzester Zeit zu verdrängen.

In Libyen selbst ist es der Koalition der willigen Staaten in der ersten Phase der Operation gelungen, die von vielen erwartete Einnahme der Stadt Benghasi zu verhindern und damit ihre Zivilbevölkerung zu schützen. Je mehr sich der Krieg innerhalb und um Städte wie Misrata und besiedelte Gebiete festfrisst, umso schwieriger wird der Schutz der in den Kampfgebieten verbliebenen Zivilisten.

Werden die NATO-Staaten sich auf den Kampf aus der Luft beschränken, auch wenn Gaddafi die militärische Überhand gegen die Rebellen gewinnt, oder greifen dann auch ausländische Bodentruppen ein, über das UN-Mandat hinaus?

Dembinski: Gegenwärtig spricht sehr viel gegen die Annahme, ein westliches Land könnte sich für den Einsatz von Bodentruppen entscheiden. Zum einem wäre dieser Einsatz durch das Mandat nicht gedeckt und würde vermutlich die wichtige politische Unterstützung der regionalen Akteure wie der Arabischen Liga sofort zerstören. Zum anderen ist die politische Bereitschaft gering. Die USA führen diesen Krieg bestenfalls halbherzig, und die Widerstände in Washington gegen den Einsatz von Bodentruppen sind enorm. Mit allerdings großen Abstufungen gilt dies auch für Großbritannien und Frankreich. Ob und unter welchen Voraussetzungen arabische Länder wie Ägypten sich zum Einsatz von Bodentruppen entschließen könnten, kann ich nicht beurteilen.

"Eine Beteiligung Deutschlands

an dem humanitären Einsatz

ist besser als nichts"

 

Was tut die NATO, wenn der Schutz der Zivilbevölkerung, der ja über dem ganzen Einsatz steht, auch eine Bombardierung der Rebellen gegen Gaddafi erfordert? Bringt sie sich da nicht moralisch in eine Zwickmühle?

Dembinski: Das ist eine sehr spekulative Frage. Wenn die Rebellen im großen Umfang Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit androhen würden (wie das übrigens Gaddafi getan hat), geriete die NATO natürlich in eine moralische Zwickmühle.

Wie beurteilen Sie die Entscheidung Deutschlands, sich an dem Einsatz in Libyen vorerst nicht zu beteiligen?

Dembinski: Eine Kommission zur Beurteilung der NATO-Intervention im Kosovo kam zum Ergebnis, der damalige Einsatz sei illegal, aber legitim gewesen. Dagegen ist der Einsatz in Libyen legal. Er findet die Zustimmung der betroffenen regionalen Sicherheitsorganisationen wie der Arabischen Liga, und er steht auf dem soliden Fundament der Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat. Die Enthaltung Deutschlands steht in einem Widerspruch zu dem Bekenntnis zu einer multilateralen Sicherheitspolitik. Über seine Legitimität kann man sicherlich streiten. Kritische Fragen betreffen weniger die Zielsetzung, als die Erfolgsaussichten.

Eine Beteiligung Deutschlands scheint sich nun doch abzuzeichnen, zumindest an einem humanitären Einsatz. Reicht das als Bekenntnis Deutschlands zu einer multilateralen Sicherheitspolitik?

Dembinski: Eine Beteiligung Deutschlands an dem humanitären Einsatz ist besser als nichts. Nur darf man sich da nichts vormachen. Mit der Enthaltung bei der Abstimmung über die Libyen-Resolution im Sicherheitsrat hat die Bundesregierung Deutschland in einer bisher einmaligen Art und Weise ins politische Abseits gesteuert, mit absehbaren Konsequenzen für den Anspruch, im Sicherheitsrat mehr und dauerhaft Verantwortung zu übernehmen sowie mit unabsehbaren Konsequenzen für das Projekt einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Was muss passieren, damit dieser Krieg endet?

Dembinski: Ein Rückzug Gaddafis und seiner Söhne wäre eine Möglichkeit, den Krieg zu beenden. Das erscheint gegenwärtig nicht wahrscheinlich. Daher erscheint die oben angesprochene politische Machtteilung ein Weg, um zu verhindern, dass dieser Konflikt militärisch ausgefochten wird. Wahrscheinlich geht ein Arrangement der Machtteilung nicht mit Oberst Gaddafi. Ebenso wahrscheinlich wird es führende Repräsentanten des alten Regimes, und das bedeutet Mitglieder der engeren oder weiteren Familie Gaddafis, einschließen müssen.


Dr. Matthias Dembinski ist Mitglied des Vorstands der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und arbeitet dort im Fachbereich Internationale Organisationen und Völkerrecht.