Schweigeseminar im Gethsemane Kloster
Foto: Anika Kempf/evangelisch.de
Besuch im Gethsemane-Kloster bei Goslar: Hier wird in der Karwoche geschwiegen.
Karwoche im Kloster: Still sein und warten, was Gott schickt
Eine Woche lang nichts essen. Und nicht reden. "Mir geht es gut beim Fasten", sagt Bruder Uwe vergnügt. Er ist der Leiter des Evangelischen Gethsemane-Klosters bei Goslar. Hier hat die Küche während der Karwoche ihren Betrieb eingestellt, und es ist sehr sehr leise auf dem Klostergelände. Die drei Mönche und ihre Gäste fasten und schweigen.

Das Gethsemane-Kloster liegt zwischen Wiesen und Weiden neben einem alten Gutshof am Harz in Niedersachsen. Die Gemäuer hier sind zum Teil fast 900 Jahre alt, doch mit der Vorstellung von kalten, nackten Räumen, großen Schlafsälen und dunklen Kellern hat zumindest dieses Kloster nichts gemein. Die Gebäude wurde um 1990 saniert: Stuckdecken, Kronleuchter, antikes Mobiliar. Auch die Einzelzimmer haben nichts von kargen Klosterzellen, sondern sind individuell, farblich ansprechend und geschmackvoll eingerichtet, jedes mit einer eigenen Gebetsecke.

Bruder Uwe (70), Bruder Alfred (55) und Bruder Achim (43) leben hier in Gemeinschaft mit Langzeit- und Kurzzeitgästen. Früher waren es mehr Brüder, manche der Männer sind abgesprungen, andere verstorben - die drei sind übrig geblieben. Das Leben der Mönche folgt einem festen Rhythmus: Zwischen vier und fünf Uhr aufstehen, persönliche Meditation, um sieben Uhr das Morgengebet ("Laudes"). Tagsüber kümmern die Brüder sich um die Gäste und die Verwaltung des Hauses, unterbrochen vom Mittags- und Abendgebet ("Vesper", 18 Uhr). Und Abends? Wer früh aufsteht, geht auch früh schlafen.

Im normalen Klosteralltag - also außerhalb der strengen Fastenwoche - gibt es zu den Mahlzeiten einfache Bio-Vollwertkost. Bruder Alfred ist der Koch, studierter Elektrotechniker, gelernter Hauswirtschafter mit Zusatzausbildung als Gesundheitsberater. Er zieht in seiner Klosterküche selber Mungobohnensprossen, mischt sie mit Möhren und Äpfeln zu leckerem Rohkostsalat, reicht schmackhaft gewürzten Dinkelbrei dazu. Fleisch und Nachtisch gibt es nicht, denn zum Lebensstil der Mönche gehört ein Leben nach Maß. Auch außerhalb der Fastenzeit.

Gemein: Im Regal liegen Schoko-Orange-Kekse

Fasten bedeutet hier im Gethsemane-Kloster: Eine Woche lang vor Ostern, vom Samstag Palmarum bis einschließlich Karsamstag, nichts essen. Gar nichts! Während dieser Woche trinken die Mönche Apfelsaft, Traubensaft, Sauerkrautsaft, Orangensaft - oder kochen sich zur Not, wenn der Kreislauf allzu sehr absackt, mal eine Brühe zu Mittag. Gäste, die an dieser Fastenwoche teilnehmen, sollten dieses Experiment vorher schon mal gemacht haben. Sie sollten wissen, wie ihr Körper auf die Null-Diät reagiert, und ob sie das Fasten durchhalten. Denn auch hier im Kloster gibt es durchaus Versuchungen, zum Beispiel in dem kleinen Selbstbedienungs-Shop vor dem Eingang zum Speisesaal. Neben den Fruchtsäften liegen Kekstüten aus: Schoko-Orange, Dinkel-Aprikose oder Kokos…

Weniger appetitlich: Auch Glaubersalz ist hier zu bekommen, für 30 Cent pro Dose. Die brauchen Mönche und Gäste zur Vorbereitung der Fastenzeit, denn zuerst muss der Verdauungstrakt ganz entleert und durchgespült werden - zum Beispiel mit Hilfe der Glaubersalzlösung. Erfahrende Fastende erledigen das vorher zu Hause und können so direkt in die Fastenzeit einsteigen. Die ersten zwei Tage sind die schwersten, denn der Körper braucht Zeit, um sich auf den Nahrungsverzicht einzustellen: Da wird einigen morgens beim Aufstehen schon mal schwarz vor Augen.
 
"Manche denken, dass sie sterben", erzählt Bruder Uwe von Fasten-Anfängern. Doch das passiert nicht. Wer zwischendurch schlapp macht, darf einen Apfel essen oder etwas Honig in den Tee rühren. "Religiös ist es nicht so wichtig, dass man medizinisch korrekt fastet - wenn es das überhaupt gibt… ", sagt Bruder Uwe. Wer gar nicht fasten kann, darf trotzdem an der Woche teilnehmen und sich in der Küche einfache Kartoffel- oder Reisgerichte kochen. Aber bitter selber! Der Koch soll schließlich nicht beim Fasten gestört werden.

Ruhe muss man erstmal aushalten...

Die Woche vor Ostern ist nicht nur eine Fasten- sondern vor allem eine "Einkehrwoche". Man lebt zwar in Gemeinschaft, aber doch jeder für sich - schweigend. Die einzigen gemeinsamen Tätigkeiten sind die drei Tagzeitengebete, zwischendurch ist jeder mit sich allein. Handys, Computer, Radio, und MP3-Player sind im Kloster verboten, und einen Fernseher gibt es im ganzen Gebäudekomplex nicht. Bruder Uwes Faustregel: "Man soll das lassen, was zur Zerstreuung führt und das tun, was zur Sammlung führt." Er empfiehlt: Beten und Spazieren gehen.

Diese radikale achttägige Stille kann allerdings ganz schön nach hinten losgehen: "Die Einkehrzeit kann auch zur 'Brützeit' werden", warnt Bruder Uwe. Zum Beispiel wenn jemand allzu viel beruflichen Druck, familiären Ballast oder handfeste psychische Probleme mitbringt. All das meldet sich in dieser Zeit der Ruhe und kommt an die Oberfläche, "das muss man erst mal aushalten". Manchmal dauert es einfach ein paar Tage, bis ein Mensch von 100 auf Null heruntergeschaltet hat.

Bruder Uwe erzählt von einer Frau, die an der Einkehrwoche teilnahm: eine Politikerin, ziemlich überlastet. Sie meldete sich nach einigen Tagen bei den Brüdern, weil sie es nicht aushielt. In solchen Fällen wird das Schweigen gebrochen, die Mönche bieten Seelsorge-Gespräche an, schätzen ab, ob die Betroffene weiter fasten oder sich besser in eine Therapie begeben sollte. Durchstehen oder abbrechen. In diesem Fall führten das Gespräch und der weitere Aufenthalt im Kloster zu einer Besserung: Die Politikerin wurde ruhig, ihre psychische Anspannung löste sich im Lauf der Woche.

"Der Himmel wird klarer, die Sonne scheint durch"

"Der Geist wird klarer", so beschreiben die Brüder ihre Fasten-Erfahrung. Was bedeutet das, wie fühlt sich das an, wenn der Geist 'klarer' wird? "Ach, wenn man das beschreiben könnte!", seufzt Bruder Uwe. Er versucht es so: "Die Stille ist auch eine Art von Fasten. Man verzichtet auf Eindrücke, auf Bilder, auf Texte. Das Gehirn hat es nötig, einmal nichts zu tun - dann kriegt es die besten Gedanken. Die Wolken verziehen sich, der Himmel wird klarer, die Sonne scheint durch." Der Einkehr-erfahrene Mönch beschreibt diesen Zustand gegen Ende der Einkehrwoche als "seelisch gelöst und erhoben".

Bruder Alfred spürt beim Fasten zuerst ein inneres Entspannen, dann Müdigkeit, und später eine umso größere Wachheit. "Ich erlebe das Leben dann empfangender", erklärt er. "Ich betrachte bewusster die Natur und das Leben um mich herum, auch die anderen Menschen." Selbst wenn alle schweigen: Während der Einkehr kommunizieren die Teilnehmer über Blicke und Gesten, man wird aufmerksam und grüßt zwar wortlos, aber umso freundlicher.

Eine solche Einkehrwoche kann nicht überall stattfinden. Die Umgebung spielt eine Rolle. "Schönheit ist ein Medium für das Transzendente", sagt Bruder Achim. Die uralten Gewölbe, die gemauerten Wände der Kirche, der blühende Park, die schön dekorierten Innenräume - das alles trägt zu der stimmungsvollen Atmosphäre bei. Doch es liegt nicht nur am Äußeren: "Dies ist ein durchbeteter Raum", versucht Bruder Achim den besonderen Geist zu beschreiben, der durch die Klostermauern weht.

Mit bunten Wollsocken aufs Kniebänkchen

Ist hier Gott zu finden? "Ein Kloster ist ein Lebensraum, wo Gott im Mittelpunkt sein möchte," definiert Bruder Achim. Und ein Mönch ist einer, der Gott sucht. Das möchte er tun, mit ganzem Leib und ganzer Seele, deshalb ist der studierte Maschinenbauer in die Gethsemane-Gemeinschaft eingetreten. Und? Hat er Gott schon gefunden? Bruder Achim lächelt. "Je mehr sich die Gegenwart Gottes auftut, desto größer werden die Sehnsucht und das Geheimnis." Es gibt keinen Endpunkt, kein "Gefunden".

Ein Ort zum "Suchen" ist das Oratorium. Ein Gewirr von Gängen führt in das Zimmer mit den rauen steinernen Wänden, einem Überbleibsel der alten Klosterkirche. Vor dem Eingang eine lange Bank an der Wand, darunter zwei Körbe mit bunten grob gestrickten Wollsocken. Schuhe aus, Socken an. Dann ganz leise hereinschleichen und wahlweise auf einem Hocker, einem Kniebänkchen oder einem Kissen Platz nehmen, je nachdem, was die Gelenke aushalten. Vorn in dem Raum stehen eine Jesus-und-Johannes-Figur aus Holz, Blumen und ein siebenarmiger Leuchter.

Das Mittagsgebet ist einfach gestaltet: Taizé-Lieder werden gesungen, ein Psalm gemeinsam gesprochen. Dazwischen immer wieder Stille. Schon diese Schweigeminuten erscheinen dem Besucher, der aus seiner beruflichen Hektik der Großstadt direkt in die Klosterstille gestolpert ist, wie eine Ewigkeit. Gedanken driften hierhin und dorthin, man versucht sich zu sammeln. Wie ist diese Stille bloß eine ganze Woche lang auszuhalten? Ein Mönch wiederholt einen Meditationsvers mehrmals. Wieder Stille. Ein Fürbittengebet, am Schluss das Vater Unser und der Segen. Bruder Uwe beendet das Gebet, indem er schweigend aufsteht.

"Ein ganz großes Erleben von innerem Erfülltsein"

Gäste kommen immer wieder zur Einkehrwoche, um Gott zu suchen. Jedenfalls wünschen sich viele ein religiöses Erlebnis, haben eine bestimmte Erwartung. Bruder Uwe schüttelt den Kopf: "Man sollte die Erwartung loslassen. Wenn ich keine Erwartung habe, werde ich auch nicht enttäuscht." Es kann sein, dass während einer Einkehrwoche überhaupt nichts passiert - jedenfalls keine Gottesbegegnung. "Dann muss man mit dem Kopf gegen die Wand", bedauert der Doktor der Theologie. "Diese Lernprozesse muss man wohl existenziell erfahren." Es ist eine Art von Ohmacht, die die Menschen aushalten müssen: Eine Gottesbegegnung lässt sich trotz intensiver Gebete und gregorianischer Psalmgesänge nicht herstellen. Man könne nur die Stille suchen, sagt Bruder Uwe - und abwarten, "was der liebe Gott schickt."

Immerhin: Manchmal lässt er von sich hören, der "liebe Gott". Bruder Uwe erzählt von einem Theologen, der zur Einkehr ins Kloster kam. Der habe seine ganzen religiösen Überzeugungen, sein Studienwissen, seine Fragen und Zweifel abgelegt, beiseite gelassen, weggeworfen - und plötzlich: "Ein ganz großes Erleben von innerem Erfülltsein", so gibt Bruder Uwe es wieder, ohne das Phänomen näher erklären zu können. Menschen seien eben unterschiedlich offen für religiöses Erleben. Doch das Fasten und Schweigen kann dieses Erleben offenbar fördern: Bruder Achim sagt, er werde durch das Fasten "feinsinniger für die Gegenwart Gottes".

Ein wenig versuchen die Mönche, die Stimmung am Ende der Einkehrwoche zu beeinflussen, doch das gelingt nicht immer. Am Karfreitag sitzen sie stundenlang bei Lesungen und Gebeten in der verdunkelten Krypta, "das ist dann schon so ein bisschen ernst", gibt Bruder Uwe zu. "Trotzdem kann man am Karfreitag positiv gestimmt sein, und dafür am Ostersonntag miesepetrig drauf", lacht er - das ist dann eben so. Früh am Ostersonntag wird in der Krypta Gottesdienst gefeiert, danach gibt es eine "feierliche Tafel". Fastenbrechen! Bruder Uwe findet: "Das Rauskommen ist genauso wichtig wie das Anfangen." Aber Vorsicht: Nach einer Woche Null-Diät ist kein Schlemmer-Menü angesagt und auch noch keine Bio-Vollwertkost. Auf der Tafel liegen feierlich ein paar Äpfel.

Dieser Artikel wurde bereits am 7. April 2011 auf evangelisch.de veröffentlicht.