Phantom-Debatte in NRW: Atomkugeln waren nie weg
Rot-Grün in NRW hat gesucht, was nie weg war: 2.285 Atom-Kugeln. Eine Steilvorlage für die Opposition - und gleich doppelt für Bundesumweltminister und CDU-Landeschef Röttgen.
07.04.2011
Von Bettina Grönewald

Eine Phantom-Debatte beschäftigt seit Tagen die nordrhein-westfälische Landespolitik: Gesucht wurden 2.285 radioaktive Brennelementkugeln. Die rot-grüne Landesregierung hatte für Alarmstimmung gesorgt mit der Mitteilung, es sei ungewiss, wo das strahlende Material aus dem ehemaligen Forschungsreaktor Jülich geblieben sei. Jetzt stellt sich heraus: Es war nie weg. Eine Steilvorlage für die Opposition, die die "peinliche Posse" am Mittwoch im Düsseldorfer Landtag ausschlachtete.

Norbert Röttgen durfte sich im fernen Berlin gleich doppelt über das Eigentor der Minderheitsregierung freuen. Als Bundesumweltminister konnte er die NRW-Atomaufsicht "kurzfristig zu einem bundesaufsichtlichen Gespräch einbestellen". Neben der sachlichen Aufklärung zog Röttgen - zugleich CDU-Landeschef in NRW - anschließend auch ein politisches Fazit: "Mit ihren spekulativen Angaben haben das Wissenschafts-, Umwelt- und Wirtschaftsministerium nur für Verunsicherung gesorgt. Die Beteiligten haben versucht, aus einer ernsthaften Diskussion über die Zukunft der Kernenergie Kapital zu schlagen."

"Hat ihr Haus komplett den Überblick verloren?"

Gleich in zwei Fachausschüssen servierte die FDP der Landesregierung am Mittwoch dringliche Anfragen zu den Hintergründen. Energieminister Harry Voigtsberger (SPD) ließ sich allerdings - wegen noch dringlicherer Termine in Berlin - entschuldigen. Derweil mühte sich sein Staatssekretär Günther Horzetzky, die Opposition mit dürren Worten und wenig Auskünften im Zaum zu halten.

Doch CDU und FDP wollten sich weder auf spätere schriftliche Berichte vertrösten noch auf Ausführungen zur Mengenlehre des spaltbaren Materials und Kugelzahlen einlassen. FDP-Fraktionschef Gerhard Papke riss im Wirtschaftsausschuss der Geduldsfaden: "Entweder Ihr Haus hat komplett den Überblick verloren oder nur eine folkloristische Antwort auf die Kleine Anfrage der Grünen gegeben."

Dort sei eben nur nach dem Verbleib der Kugeln und nicht nach dem entscheidenden radioaktiven Inhalt gefragt worden, erklärte Horzetzky. "Wenn eine Frage nach Kugeln gestellt wird, erhalten Sie auch eine Antwort zu Kugeln." Aus Jülich habe man "unterschiedliche Zahlenangaben" erhalten.

Die Büchse der Pandora

Mit dieser Herangehensweise hätten die beteiligten Ministerien aber "die Büchse der Pandora geöffnet und den Eindruck erweckt, spaltbares Material sei abhandengekommen", stellte Papke fest. "War Ihnen nicht die Brisanz bewusst?" Wenn die Regierung einerseits Zeit verlange, um den Vorgang aufzuklären, sei es andererseits erstaunlich, dass sie jetzt schon dem Bundesumweltministerium mitteilen könne, dass eigentlich alles in Ordnung sei, wunderten sich FDP und CDU. "Was denn nun?"

Aus Sicht der Opposition wollte die Koalition mit einer Kleinen Anfrage der Grünen die Zwischenlagerung atomaren Materials und vermeintliche Missstände in Jülich skandalisieren. Dieser Plan sei fehlgeschlagen. CDU und FDP äußerten Zweifel an der Kompetenz von Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) und kritisierten Verantwortungslosigkeit im Energieministerium. Minister Voigtsberger sei aber persönlich nicht mit der Angelegenheit befasst gewesen, versicherte sein Staatssekretär.

dpa