Immer mehr Katholiken treten aus der Kirche aus
Rund 180.000 deutsche Katholiken haben im vergangenen Jahr ihre Kirche verlassen. Das sind fast 40 Prozent mehr als 2009, wie die "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" in ihrer aktuellen Ausgabe berichtet. Die Zahl der Austritte stieg um 50.000. Ein Zusammenhang mit den Fällen von sexuellem Missbrauch ist aber nicht erwiesen: In Österreich (plus 64 Prozent) und der Schweiz (plus 60 Prozent), wo es 2010 keine vergleichbaren Affären gab, stiegen die Austrittszahlen noch viel deutlicher an.

Die Daten für 2010 beruhen auf einer Umfrage unter den 27 deutschen Bistümern, von denen 24 endgültige Zahlen nannten oder Schätzungen abgaben. Die drei Diözesen Freiburg, Hildesheim und Limburg machten vorerst keine Angaben. Damit könnten erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik mehr Katholiken als Protestanten aus der Kirche ausgetreten sein, heißt es in dem Bericht.

"Schmerzlicher Vertrauensverlust"

Nach Schätzungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) lag die Zahl der protestantischen Kirchenaustritte 2010 leicht unter 150.000, wie das Blatt weiter meldet. Im Jahr zuvor waren es etwa 150.000, 2008 mit 168.901 deutlich mehr.

"Der Anstieg der Kirchenaustritte im Jahr 2010 steht auch für einen Vertrauensverlust, den die Kirche besonders durch die Missbrauchsfälle erlitten hat", sagte der Kölner Generalvikar Dominik Schwaderlapp der Zeitung. "Das ist schmerzlich für uns, weil offenbar viele Menschen den Kirchenaustritt als ihre persönliche Form des Protests und der Abscheu vor diesem Skandal gewählt haben." In Deutschlands größtem Erzbistum Köln verließen im vergangenen Jahr 15.163 Katholiken ihre Kirche. Dies entspricht einem Anstieg von 41 Prozent gegenüber 2009.

Zunahme auch in Österreich und der Schweiz

Besonders schwer traf es den Angaben zufolge die bayerischen Bistümer Eichstätt, Augsburg, Bamberg, Würzburg und Passau. Hier seien die Austrittszahlen auf bis zu 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Auch die Bistümer Trier und Rottenburg-Stuttgart hätten überdurchschnittlich viele Austritte mit Zuwachsraten über 60 Prozent zu verkraften. Demgegenüber hätten die Austrittszahlen in den Bistümern Hamburg, Berlin und Speyer sich gegenüber 2009 um weniger als 20 Prozent erhöht. In Österreich traten 87.400 Personen aus der katholischen Kirche aus, in der Schweiz waren es 6.000.

"Es gehen viele, die sich um ihre Kirche ernsthaft Sorgen machen und ehrlich an ihr verzweifeln", sagte Michael Ebertz, Professor für kirchliche Sozialarbeit an der Katholischen Hochschule in Freiburg. Die Kirche dürfe nicht der Versuchung erliegen, die Zahlen herunterzuspielen.

epd