Es ist eine Niederlage für Präsident Obama, eine Niederlage für die Zivilgesellschaft und ein Skandal, der seinesgleichen sucht. Kein Bundesstaat in den USA wollte Al-Kaida-Terroristen in einem seiner Gefängnisse haben, auch New York nicht. In der Metropole am Hudson, Ort der Anschläge von 9/11, hätte der Prozess stattfinden sollen. Aber die Amerikaner hatten Angst. Angst vor Anschlägen, Angst vor den massiven Sicherheitsvorkehrungen, die nötig wären – und Angst davor, dass ein ordentliches Gericht die Drahtzieher möglicherweise doch nicht verurteilt hätte.
Das wäre nicht passiert, sichert Justizminister Holder zu, der sich mit dem Fall und der Beweislage von Amts wegen intensiv beschäftigt hat. Und wenn doch? Wenn die Verdächtigen in einem ordentlichen, fairen Prozess nach geltendem Recht freigesprochen worden wären? Dann wäre das nach den Regeln unserer westlichen, demokratischen Gesellschaft eben so gewesen. Damit muss man in einem Rechtsstaat leben.
Das Militärgericht ist der falsche Weg
Stattdessen erklären die New Yorker Republikaner im Kongress, dass die Verdächtigen keine amerikanischen Bürger seien und daher nicht das gleiche Recht und den Schutz von Angeklagten vor zivilen Gerichten verdienten. Der texanische Republikaner Lamar Smith, Vorsitzender des Justizausschusses im Repräsentantenhaus, nannte die 9/11-Täter sogar "Kriegsverbrecher".
Terroristen sind aber keine Kriegsverbrecher, sie sind einfach nur Kriminelle. Und als solche steht ihnen das gleiche Recht zu wie jedem anderen Kriminellen. Gibt man ihnen das nicht, ist es den Terroristen zumindest an dieser Stelle schon gelungen, die Demokratie aus den Angeln zu heben.
Daher ist die Entscheidung der US-Abgeordneten (aus beiden Parteien übrigens), die Guantanamo-Insassen vor ein Militärgericht statt ein ordentliches Gericht zu stellen, falsch.
Sie ist auch noch aus einem anderen Grund falsch. Die USA führen zwei Kriege in Afghanistan und Irak, mit denen sie versuchen, eine westliche Demokratie zu exportieren, deren Kernsatz lautet: Alle Menschen sind gleich, und damit auch vor dem Gesetz gleich.
Gleiches Recht für alle? Wohl nicht in diesem Fall
Die USA sind ein Land, die über den Kern dieses Satzes – nämlich über die Rechte von Sklaven – einen Bürgerkrieg führten. Er steht der Unabhängigkeitserklärung voran, mit der die Amerikaner sich von der britischen Kolonialmacht lösten. Kein Land der Erde hängt die Gleichberechtigung und Freiheit jedes Einzelnen so hoch an den Fahnenmast wie die USA.
Wenn aber im selbsternannten Mutterland der Freiheit, das seine Form der Demokratie vom Nachkriegs-Deutschland bis zum heutigen Afghanistan streut, die Grundrechte dieser Demokratie innerhalb der eigenen Grenzen nicht gelten, wie sollen sie dann anderswo ernst genommen werden? Vertrauen die Amerikaner nicht auf ihr eigenes Rechtssystem? Ein rechtsstaatlicher Prozess gegen die Guantanamo-Insassen wäre ein gutes, notwendiges und eigentlich selbstverständliches Signal gewesen, wie es anders gehen kann als mit dem Schwert zu herrschen.
"Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen", warnt Jesus im Matthäus-Evangelium. Vielleicht sollten sich die amerikanischen Politiker das mit Blick auf Irak, Afghanistan und Guantanamo durch den Kopf gehen lassen, Präsident Obama ebenso wie der Kongress. Aber nachdem sie sich auch als unfähig erwiesen, das Gefangenenlager Guantanamo zu schließen, wäre das schon eine Überraschung.
Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de.