"Meine Behinderung ist ein Merkmal unter vielen"
Der Bundestag steht am Donnerstag vor einer schwierigen Diskussion: Soll die umstrittene Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland zugelassen werden oder nicht? Verhindern Gentests an Embryonen Leiden oder stellen sie Leben infrage? Der Umgang mit Behinderungen erlaubt aus medizinethischer Sicht keine einfachen Antworten.
04.04.2011
Von Martina Schwager

Mit Medizinethik beschäftigt sich Christian Papadopoulos schon lange. Sie war Thema seiner Magisterarbeit. Sie ist sein Lebensthema. Der 38-Jährige hat die ererbte fortschreitende Muskelerkrankung Muskeldystrophie, sitzt im Rollstuhl, wird beatmet, benötigt Hilfe bei vielen alltäglichen Dingen. "Eine Behinderung - das muss doch heutzutage nicht mehr sein!" Vor solchen Sätzen hat er Angst.

Behinderung ist nicht gleich Leiden

Die aktuelle Diskussion um Gentests an Embryonen macht ihm klar: Wäre damals die Präimplantationsdiagnostik (PID) möglich gewesen, würde es ihn heute vielleicht nicht geben. Bei der Präimplantationsdiagnostik wird ein durch künstliche Befruchtung gezeugter Embryo auf bestimmte Erbkrankheiten untersucht. Nur wenn die Erbanlagen zu diesen Krankheiten nicht vorliegen, wird er in die Gebärmutter eingesetzt.

Die Debatte, ob diese Praxis erlaubt oder verboten werden sollte, geht quer durch die Gesellschaft und alle politischen Parteien. Selbst Betroffenenverbände und Kirchen können sich häufig nicht zu einer eindeutigen Stellungnahme zusammenfinden.

Papadopoulos wehrt sich dagegen, wenn Behinderung mit Leiden gleichgesetzt wird. Er leidet nicht, sagt er. "Meine Behinderung ist ein Merkmal unter vielen." Der Soziologe aus Bonn ist verheiratet, hat einen Job, der ihm Spaß macht, engagiert sich ehrenamtlich: "Es geht mir wirklich gut", sagt er mit fester Stimme.

Leben mit behinderten Kindern

Gesa Boreks Stimme klingt müde und angestrengt. Mehr als eine Stunde hat die 44-Jährige schon vom Leben mit behinderten Kindern erzählt. Jetzt sollte sie langsam zum Ende kommen: Die Oma will endlich nach Hause. Lars (13) hat Hunger. Moritz (3) ist immer noch nicht im Bett. Jonas (6) ist übel, er hatte sich kurz zuvor übergeben müssen. Doch das Thema ist ihr zu wichtig. Sie verabschiedet Oma kurz, vertröstet Moritz auf später und gibt Lars ein paar Anweisungen.

Sie kämpft - schon ziemlich lange: "Ich stehe eigentlich immer unter Strom." Die Boreks aus Hamburg haben vier Jungen. Die beiden mittleren, Lars und Jonas, sind geistig behindert, geraten schnell außer sich, sind sehr anfällig für Krankheiten, leiden unter Ängsten. "Fragiles-X-Syndrom" heißt die Krankheit. Sie beruht auf einer Veränderung des X-Chromosoms, wird vererbt.

Gesa Borek setzt sich im Verein "Achse", der "Allianz chronischer seltener Erkrankungen", dafür ein, dass Eltern durch die PID die Chance auf gesunde Kinder bekommen. "Ich verstehe gut die Argumente der Gegner. Aber unser Alltag ist einfach immer wieder ein Drahtseilakt, und manchmal denke ich, das sprengt einfach unsere Familie."

Darf der Mensch in den Schöpfungsprozess eingreifen?

So bitter das Leiden manchmal auch sein mag - Christian Papadopoulos, der auch bei "Achse" mitarbeitet, kommt dabei der ethische Aspekt zu kurz: "Eltern leiden auch, wenn ihre Kinder kriminell werden." Es gehe um die Frage, ob der Mensch in den Schöpfungsprozess eingreifen dürfe: "Bin ich geworden oder bin ich gemacht worden?"

Er fürchtet, dass eine Zulassung der PID unweigerlich eine Tür aufstoßen würde, die dann nicht mehr zu schließen wäre: Embryonen würden zu Gütern, die dann auch für die medizinische und die Arzneimittel-Forschung "gebraucht" werden könnten. Außerdem würde angesichts des Kostendrucks im Gesundheitswesen unweigerlich die Kosten-Nutzen-Analyse in den Vordergrund treten: "Da wird mein Selbstverständnis als Mensch infrage gestellt."

Das Argument, dass ein Schwangerschaftsabbruch bei medizinischer Indikation viel schlimmer sei, hält er für verfehlt. Wenn eine Frau ein behindertes Kind erwartet, ist ein Abbruch straffrei, wenn die körperliche oder seelische Gesundheit der Mutter in Gefahr ist. Die Ausgangslage sei eine andere, sagt Papadopoulos. Dabei gehe es um eine Rechtsgüterabwägung zwischen dem Wohl des Ungeborenen und dem der Mutter.

"PID ist keine Garantie für ein gesundes Kind"

Für viele verzweifelte Eltern mache das im Ergebnis keinen Unterschied, sagt Gesa Borek: "Ich kenne so viele, die sich nach Eintreten der Schwangerschaft testen lassen. Wenn die Erbkrankheit festgestellt wird, lassen sie das Kind abtreiben. Das ist dann legal." Für sie wäre das niemals infrage gekommen. Und für viele Frauen sei ein Abbruch ein traumatisches Ereignis. Aus ihrer Sicht ist es ein Widerspruch, wenn die PID illegal sein soll.

Es ist ihr zudem wichtig, klar zu stellen, dass die PID keine Garantie für ein gesundes Kind ist. Sie sei für viele lediglich die einzige Chance auf ein gesundes Kind. Es werde nämlich nur nach der einen betreffenden Erbkrankheit gesucht.

Klar kann Papadopoulos Betroffene verstehen, die sich aufgrund ihres Leidensdrucks Hilfe wünschen. "Aber die Medizin kann nicht immer das Allheilmittel sein", sagt der Rollstuhlfahrer. Die Unterstützung für Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen sowie die Akzeptanz in der Gesellschaft müssten deutlich besser werden, fordert er.

Oft am Ende der Kräfte

Gesa Borek ist oft am Ende ihrer Kräfte. Sie wirkt zerrissen. Einerseits kämpft sie für Gentests an Embryonen und die Chance auf ein Leben ohne Behinderung. Andererseits möchte sie - natürlich - keines ihrer Kinder missen. "Denn bei aller Besonderheit sind wir auch ganz normal. Wir lachen und haben Spaß."

Doch die Gesellschaft macht es ihr nicht eben leicht. Menschen begegnen ihr und ihren Kindern immer wieder mit Ablehnung, Unverständnis und sogar Häme. Schmerzlich erinnert sie sich an den Kommentar eines Bekannten: "Der sagte mir ins Gesicht: Ein behindertes Kind ist Pech, zwei behinderte Kinder sind fahrlässig. - Das tut weh."

epd