In der Kategorie "Kommunikation" erhält Facebook den Preis, "das nette 'soziale' Netzwerk das George Orwells 'Big Brother' blass vor Neid werden lässt" sagt Organisatorin Rena Tangens des "BigBrotherAward". Die Datenschutz-Aktivistin vergleicht Facebook mit "einer Art zentraler Gated Community", in der Menschen auf Schritt und Tritt beobachtet werden.
Für Tangens steht fest: "Hier herrscht die Willkür eines Konzerns und der verdient mit systematischen Datenschutzverstößen Milliarden." Facebook speichere seine Daten in den USA, womit ein Zugriff für Geheimdienste möglich sei. Ein Löschen der Daten sei nicht vorgesehen. Tangens kritisiert, dass der seit einigen Monaten so beliebte "Gefällt-mir"-Button auf fremden Webangeboten auch ohne Anklicken Facebook-Mitglieder an Facebook "verpetzt" und die Bewegungen von Nicht-Mitgliedern anhand ihrer IP-Adresse durchs Netz verfolgt.
Apple lässt Kunden keine Wahl
Rangens stört sich außerdem daran, dass sich der Dienst über das Angebot des "Freundefinder" und der "Handy-App" die Telefonnummern und Mailadressen aus den Adressbüchern der Nutzer aneigne. Erst nach monatelangen Verhandlungen hatte der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar Facebook einige Verbesserungen abringen, am Prinzip des "Freundefinders" jedoch nichts ändern können.
Auch die deutsche Niederlassung des beliebten Geräteherstellers Apple erhält dieses Jahr den "BigBrother"-Preis "für die Geiselnahme ihrer Kunden mittels teurer Hardware und die darauf folgende Erpressung, den firmeneigenen zweifelhaften Datenschutzbedingungen zuzustimmen". Die Kunden hätten keine Wahl den 117 iPhone-Display-Seiten mit Datenschutzbedingungen nicht zuzustimmen, monieren Frank Rosengart und Andreas Bogk vom Chaos Computer Club. Anderenfalls könnten sie ihr teures Gerät nämlich höchstens zum Telefonieren nutzen. Dahinter stecke Kalkül, denn die Lokalisierungs- oder Standortdaten würden von App-Betreibern und Werbekunden gerne genutzt, um speziell zugeschnittene Werbung zu platzieren.
Unternehmen unterwandern Persönlichkeitsrechte
Zu den weiteren Preisträgern dieses Jahres gehört unter anderem die Daimler AG, da sie mit Zustimmung des Gesamtbetriebsrats Bluttests von Bewerbern verlangt. Die Kritik der Jury: Die Blutabnahme erfolge ohne auf Persönlichkeitsrechte Rücksicht zu nehmen und meist ohne arbeitsrechtlich erforderlich zu sein. Ursprünglich hatte das Unternehmen nicht nur von künftigen Produktionsmitarbeitern, sondern auch von werdenden Verwaltungsmitarbeitern die Bluttests gefordert. Dies wurde jedoch eingestellt, nachdem die staatliche Datenschutzbehörde kritisiert hatte, dass es keinen Zusammenhang mit der auszuübenden Tätigkeit gebe. Die Daimler AG klagte dennoch darüber, dass die Datenschützer in die ärztlichen Befugnisse der Betriebsärzte eingreifen würden.
Jurymitglied Peter Wedde sieht darin eine "beratungsresistente" Haltung und kritisiert, dass die Bewerber laut Arbeits- und Datenschutzrecht der Blutprobe freiwillig zustimmen müssen: "Ein 'Nein' hätte jedoch das Ende des Traums vom Job 'bei Daimler' bedeutet". Die Daimler AG sei mit dieser Einstellpraxis nicht das einzige Unternehmen. Der Autobauer erhalte daher den Preis stellvertretend für alle deutschen Unternehmen wie BASF, der Deutschen Börse, K+S, Linde, ThyssenKrupp und zahlreichen Landesrundfunkanstalten der ARD, die Bluttests flächendeckend durchführen sollen. Das kommende Arbeitnehmerdatenschutzgesetz bedauert Wedde, schütze davor Arbeiter und Angestellten allerdings nicht.
Volkszählung und deutscher Zoll
Die Jury kritisiert auch die aktuelle Volkszählung, mit der sensible Persönlichkeitsprofile von über 80 Millionen Menschen erstellt werden können, die bis zu vier Jahre nach dem Stichtag am 9. Mai diesen Jahres personenbezogen verfügbar sein werden. Für die Volkszählung werden Daten aus Melderegistern, von der Bundesagentur für Arbeit und bundesbehördlicher Arbeitgeber verwendet.
Zu den weiteren Preisträgern gehört unter anderem der deutsche Zoll, da er von deutschen Unternehmen verlangt, ihre Beschäftigten mit US-Antiterrolisten abzugleichen. Im Gegenzug für die freiwilligen Sicherheitsüberprüfungen locken Handelserleichterungen.
[listbox:title=Die Mitglieder der Jury[Der Organisator FoeBud##Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD)##Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG)##Chaos Computer Club (CCC)##Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF)##Humanistische Union (HU)##Internationale Liga für Menschenrechte (ILMR)]]
Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann erhält den Preis für den ersten polizeilichen Einsatz einer Mini-Überwachungsdrohne. Vier Mal hatten Drohnen während Demonstrationen gegen den Castor-Transport im Wendland im November 2010 die Demonstranten gefilmt. Die Jury befürchtet eine "einschüchternde und abschreckende Wirkung" auf Versammlungsteilnehmer.
Die Modemarke Peuterey erhält den Preis, da sie Kleidung produziert, die mit einem versteckten RFID-Chip versehen ist. Sie klärt ihre Kunden darüber nicht auf, sondern hat den Chip in einem Etikett eingenäht und dieses mit dem Satz "Don’t remove this label" bedruckt.
Die "BigBrotherAwards Deutschland" werden seit 2000 an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen.
Christiane Schulzki-Haddouti ist freie Journalistin und lebt in Bonn.