Feldpost in Afghanistan: "Lieber Bernd, wir vermissen dich..."
Wir befinden uns im Jahre 2011 nach Christus. Die Welt ist elektronisiert: Alle Menschen kommunizieren per E-Mail und SMS. Alle Menschen? Nein! Soldaten im Lager der Bundeswehr in Mazar-i-Scharif (Afghanistan) hören nicht auf, der modernen Kommunikationstechnik Widerstand zu leisten. Sie schreiben Briefe.
31.03.2011
Von Anne Kampf

"Das ist der Wahnsinn", sagt Stabsunteroffizier Matthias M. (29). "Zu Hause kommunizier' ich, wenn's um Privatangelegenheiten geht, eigentlich kaum noch über die Post, die ist total in den Hintergrund gerückt, aber jetzt hier im Einsatzland ist das was ganz anderes." Schon nach drei Wochen im Afghanistan-Einsatz hatte der junge Soldat aus Schwerte (Nordrhein-Westfalen) zwei Pakete und sieben oder acht Briefe bekommen. Seiner Frau und einigen Freunden in Deutschland macht das Spiel offenbar genauso viel Spaß wie ihm.

Wenn zweimal in der Woche die Feldpost im Lager verteilt wird und mal wieder etwas für Matthias M. dabei ist, "dann ist das wie so ein Geburtstagsgeschenk, so würd' ich das nennen". Einmal hat seine Frau Grüße von sich selbst und Freunden mit einem Camcorder aufgenommen, auf CD gebrannt und nach Afghanistan geschickt. Eine gelungene Überraschung: "Das freut einen hier wahnsinnig", sagt der Stabsunteroffizier, "das kann man im Heimatland wahrscheinlich gar nicht nachvollziehen."

Bei Stabsfeldwebel Bernd G. (45) sind sogar schon mal Tränen geflossen. Das war beim Öffnen der Weihnachtspost 2010. Bernd G. aus Augsburg musste die Feiertage in Afghanistan verbringen, denn bei den kurzen Auslandseinsätzen von vier bis fünf Monaten sind Heimaturlaube nicht vorgesehen. Ein große Portion "Heimat" kam mit der Feldpost zu ihm: Seine Frau hatte ein schönes Paket geschnürt. Es kam schon einige Tage vor dem 24. Dezember, doch Bernd G. war geduldig. "Ich habe es bis zum Heiligen Abend aufbewahrt, hab mich dann am Abend zurückgezogen und speziell dieses Weihnachtspaket geöffnet."

Glückspfennig vom Kaminkehrer im Paket

Was war drin? Selbst gebackene Plätzchen - soweit keine Überraschung. Bernd G. weiß ja, dass seine Frau eine gute Bäckerin ist. Aber als er aus dem Paket eine Grußkarte nach der anderen zu Tage förderte, da war er doch ziemlich von den Socken: Freunde, Verwandte, alle haben sich bei seiner Frau gemeldet: "Schick es noch nicht weg, ich möchte' auch noch dem Bernd Grüße mitgeben." Dass sie ihn vermissten, schrieben die Leute, "Pass auf Dich auf", und: "Das nächste Weihnachten verbringen wir wieder gemeinsam." Selbst sein 17-jähriger Sohn hatte "sich bemüht, eine Karte zu schreiben", so beschreibt es der Stabsfeldwebel, und ein befreundeter Kaminkehrer legte einen Glückspfennig in das Paket.

"Zuhause hat man ja auch Bescherung, und für mich war das dann eben hier die Bescherung. Das war recht emotional." Weihnachten fern von der Familie zu erleben ist nicht einfach - auch nicht für einen erfahrenen Soldaten. "Da hätte man sich gern in die Heimat beamen lassen", sagt Bernd G. und schaut sich die vielen Grußkarten auch nach dem Fest wieder und wieder an. Jede einzelne hat er persönlich beantwortet - "Das war für mich Pflicht."

Kekse, Karten, Glückpfennige, CDs - nein, lebensnotwendig ist die Feldpost wohl nicht. "Man braucht das glaub ich psychisch", erklärt Stabsunteroffizier Matthias M. "Für mich ist es einfach ne riesige Sache, das mit der Post. Das muss man erst erleben, wie wichtig auf einmal die Post werden kann!" Zuhause schreibt er, wie alle anderen 29-jährigen Männer, E-Mails an seine Freunde und Bekannten, oder er ruft an. Das geht natürlich auch in Mazar-i-Scharif und den anderen Lagern der Bundeswehr in Afghanistan, im Kosovo oder in Bosnien-Herzegowina. Was ist der Unterschied zwischen gesprochenem und schriftlichem Wort, zwischen elektronisch Getipptem und Handgeschriebenem?

"Handgeschrieben - das schätze ich mehr"

Telefongespräche müssen die Soldaten im Lager regelrecht planen. Immerhin sind sie ja zum Arbeiten dort - gerade zu Beginn des Einsatzes ist die Freizeit knapp. Dazu kommt die Zeitverschiebung. Hat man also die Uhrzeit für ein Telefonat nach Hause vereinbart, muss es trotzdem nicht unbedingt gelingen: "Am Telefon kommt es immer drauf an wie gerade so die Stimmungslage ist", erklärt Matthias M. Sie kann schon mal daneben liegen - bei ihm oder seiner Frau - und dann bleibt nach der wertvollen Gesprächszeit unter Umständen mehr Sorge als Freude übrig.

Briefe findet der Stabsunteroffizier besser, denn die Schreiber nähmen sich dafür Zeit. "Manchmal entsteht ein Brief über zwei oder drei Tage, das ist fast schon ein Werk, was das zusammengestellt wird". Außerdem: "Man kann natürlich auch viel persönlicher in einem Brief schreiben, denn hier sehr offen zu telefonieren, das macht man eigentlich auch nicht." Stabsfeldwebel Bernd G. kommt wieder auf Weihnachten zurück: Eine Zeitlang hat er Mails mit weihnachtlichem Hintergrund verschickt, "aber das ist wieder out", meint er. "Eine persönliche Grußkarte, handgeschrieben, hat glaub ich für jeden noch eine größeren Bedeutung. Ich schätze das auch mehr."

Hauptfeldwebel Stefan B. ist Brief-Fan von Berufs wegen: Er ist der Postmann im Bundeswehrlager Mazar-i-Scharif. Seine Überzeugung: "Man muss zwar manchmal wieder lernen, einen Brief zu schreiben, aber das ist wichtig." Warum? "Einen Brief kann ich immer wieder lesen. Eine SMS drück ich irgendwann mal weg, eine E-Mail lösche ich irgendwann, aber ein Brief - der bleibt." Für vier Monate leitet der 47-jährige Reservist die Feldpostabläufe hier und in den Lagern Kunduz, Faizabad, Kabul und Termez (Usbekistan).

Bunte Verzierungen auf tristem Packpapier

Sein Büro ist ein kleiner Container direkt neben der "Feldpostumschlagshalle", wo die Pakete und Päckchen, Briefe und Karten aus- und eingepackt werden. "Es macht Spaß, hier mit den Leuten zusammenzuarbeiten", sagt er. "Zu sehen, wie sie die Post erhalten und wenn sie die Post am Feldpostschalter abgeben. Die sind da sehr kreativ und machen da Stempel drauf." Stempel? Ja, der Spaß muss sein: Weil das Verpackungsmaterial im Lager eher grau und trist aussieht, stellt die Feldpost auch Verzierungsmaterial zur Verfügung. "Damit werden die Päckchen dann auch ein bisschen bunt".

Der Postmann aus dem Mittleren Verwaltungsdienst, der normalerweise in Fürstenfeldbruck (Bayern) für die Zustellung verantwortlich ist, sieht den Auslandeinsatz als positive berufliche Erfahrung. Der Job macht ihm Freude - gerade zu Weihnachten hat er das so empfunden: "Man sieht, dass die Leute hier mit Freude einkaufen, mit Freude verpacken, und sich dann auch Mühe dabei geben, man sieht wie sie die Päckchen liebevoll verschnüren, mit Klebematerial zumachen. Manche sind sehr kreativ und malen auch einen Weihnachtsbaum drauf. Das ist schön zu sehen."

Dass sein Job sich lohnt, kann Stefan B. anhand von Zahlen belegen: Im Jahr 2010 kamen rund 300 Tonnen Feldpost in Mazar-i-Scharif an, während 500 Tonnen von den Soldaten rausgeschickt wurden. Mehr raus als rein? Tatsächlich: Zuhause füllen die Verwandten alles zusammen in ein Paket - wie bei der großen Weihnachtsüberraschung für den Kollegen Bernd G. "Aber wenn man hier im Einsatz ist, möchte man doch den Lieben, Verwandten, Bekannten, Freunden,… jedem ein kleines Päckchen schicken", erklärt der Feldpostmann. Also kaufen die Soldaten afghanische Souvenirs, sooft sie die Gelegenheit dazu haben, und verfrachten sie - möglichst hübsch verpackt - nach Deutschland.

Feldpost von Afghanistan über Darmstadt ins Kosovo

Mittwochs und samstags kommt die Post per Luftfracht in Afghanistan an, zuerst ins Lager Mazar-i-Scharif. Von hier aus wird die Post in die anderen Lager auf dem Landweg weiter verschickt. Dann, auf dem Rückweg, nehmen die Flieger wieder volle Holzkisten mit. Von Tür zu Tür brauchen die Briefe und Päckchen unter Umständen bis zu zehn Tage - falls es beim Zoll in Speyer nicht zu Verzögerungen kommt.

Die Briefe von Hauptfeldwebel Stefan B. sind manchmal noch länger unterwegs. Denn seine Lebensgefährtin ist zurzeit im Kosovo - ebenfalls bei der Bundeswehr. Die beiden schicken sich also Feldpost von Afghanistan über die Feldpostleitstelle im hessischen Pfungstadt ins Kosovo - und denselben Weg zurück. "Das funktioniert", freut sich der Postmann. "Und es tut gut. Vor allem, wenn man so lange getrennt ist voneinander. Ist ne schöne Sache". Dann spricht er wieder als verantwortlicher Post-Profi: "Wir sind dafür da, dass das alles reibungslos funktioniert und dass die Leute diese Postversorgung wirklich wahrnehmen können."

Stabsunteroffizier Matthias M. liebt diesen Moment, wenn der so genannte Postempfangsbeauftragte seine Runde durchs Lager dreht: "Mir ist es öfter schon passiert, dass ich da saß, in die Arbeit vertieft, dass dann derjenige reinkommt, von dem man weiß: Der verteilt die Post! Dann hofft man immer: Ist was dabei? Und wenn dann was dabei ist, dann freut man sich, das hebt dann die Stimmung im ganzen Raum." Auch Stefan B. weiß ganz genau, welche Bedeutung die Feldpost in Afghanistan hat. Er sieht es, wenn die Soldaten ihre Briefe öffnen: "Ein Lächeln, ein Schmunzeln, Freude in den Augen, Strahlen in den Augen. Dann weiß man genau: Ach, es is' wieder schön. Das ist für die Moral der Truppe absolut wichtig."


Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für Gesellschaft und Politik.