Der Mann hoch oben auf der Bühne weiß, wie er seine jugendlichen Zuhörer fesselt. "Wir machen einfach mal eine kleine praktische Übung: Ich sag' ein paar Worte, und ihr guckt, welches Bild ihr innerlich seht. Erstes Wort: "Erdbeereiscreme mit Sahne". Ein sehnsüchtiges Raunen geht durch die Ränge der Stuttgarter Porsche-Arena. "VfB Stuttgart" - Jubel, "FC Bayern München" - Applaus und Buhrufe. Und der Redner ist bei seinem zentralen Punkt: "Wie ist es nun bei dem Wort 'Gott'?"
Die fröhliche Harmonie fällt auf
Eine Stunde lang wirkt es fast wie ein perfekt gestyltes, aber beliebiges Jugendevent, was da in der mit 3.500 Leuten gut gefüllten Halle abläuft: teils rappende, teils rockende Livemusik von der riesigen Bühne, mit Gags gewürzte Videoeinspielungen, Interviews und Liveschalten. Ungewöhnlich sind zunächst nur zwei Dinge: ein effektvoll aus Neonröhren und Profilblechen zusammengesetztes großes Kreuz neben der Bühne und die fröhliche Harmonie, in der alles abläuft: am Einlass und auch sonst kein Gedrängele, nirgends fallen böse oder unflätige Worte - für die zahlreichen ehrenamtlichen Ordner ist es ein extrem ruhiger Abend.
Nun aber sitzen die Teenager, die gerade noch jubelten, die am Eingang verteilten Fähnchen schwenkten und bei den Liedern mitsangen, still und aufmerksam da, die meisten auf dem blanken Hallenboden, und hören einer Predigt zu. Auch wenn es nicht wie eine wirkt. Denn Matthias Clausen, der Redner, ist zwar Pfarrer, sieht aber nicht unbedingt wie einer aus: ein ganz normaler, legerer Enddreißiger in Jeans und Sweater, auffällig ist höchstens die etwas unmoderne, dafür umso intellektueller wirkende Nickelbrille.
Eine kleine, hoch erhobene Nebenbühne gehört ganz ihm. Dort tigert Clausen (Foto) während seiner Predigt umher, das auf einem Bistrotisch liegende Manuskript würdigt er kaum eines Blickes. Aber trotz aller äußeren Form, trotz der klaren, weder besonders fromm noch besonders jugendlich klingenden Sprache, trotz aller Lacher, die der Redner mit seinem trockenen Humor immer wieder produziert - die inhaltliche Richtung ist eindeutig. Es geht um Gott, genauer um Bilder wie etwa Gott als Vater, die es manchem aufgrund seiner individuellen Erfahrungen möglicherweise schwer machen, Gott zu vertrauen. "Und deshalb habe ich heute vor allem eine einzige Frage", sagt Clausen leise: "Was ist denn, wenn Gott ganz anders ist?"
ProChrist für Jugendliche - so kann man "Jesus House", das am Mittwochabend in Stuttgart begonnen hat und bis Samstag dauert, am einfachsten beschreiben. Wie die alle zwei bis drei Jahre stattfindende Evangelisations-Aktion für Erwachsene setzt auch Jesus House auf moderne Kommunikationstechnik: Nicht nur im Internet kann man die Abende live verfolgen - Gemeinden und christliche Gruppen zeigen die Stuttgarter Veranstaltung an über 400 Orten im ganzen Land auf Leinwänden. Das Drumherum - möglicherweise ein eigenes Vorprogramm, vor allem aber die Betreuung der Gäste, bei denen die Glaubensverkündigung Fragen aufwirft oder den Wunsch zu beten - übernehmen die örtlichen Veranstalter.
Parzany wurde zur Institution
1993 kam diese Form einer Großevangelisation per Satellitenübertragung mit der ersten ProChrist-Veranstaltung nach Deutschland. Redner damals war Billy Graham aus den USA, danach wurde Ulrich Parzany als regelmäßiger ProChrist-Verkündiger zur Institution. Eine eigene Version für Jugendliche und junge Erwachsene gab es erstmals 1998, seither findet auch Jesus House alle paar Jahre statt. Dahinter steht eine breite Allianz aus evangelischen Landes- und Freikirchen. Zum Kuratorium von ProChrist gehören Bischöfe, Politiker und Unternehmer ebenso wie Nationalspieler Cacau oder der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank Weise. Bei Jesus House 2011 sind darüber hinaus auch die "Jesus Freaks" und katholische Gemeinden beteiligt, wie Sprecher Thomas Brand hervorhebt.
Ein fester Bestandteil ist der "Bekehrungsaufruf" am Ende jeden Abends. "Jesus drängelt nicht, er wartet bis Menschen sich von ihm finden lassen", schließt Matthias Clausen seine Ausführungen in Stuttgart. "Wenn du dich jetzt fragst, wie mach ich das denn praktisch, mich von Gott finden zu lassen: Eine Möglichkeit ist, du sprichst ein Gebet." Es folgt, ganz sachlich und ohne Appellcharakter, die Einladung nach vorne zu kommen und/oder ein vorformuliertes Gebet mitzusprechen, in dem der Betende Ja zu Gottes Liebe sagt und Jesus sein Leben anvertraut.
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Am Ende sind, wen man auch fragt in Stuttgart, alle zufrieden bis glücklich mit dem Abend. Viele der Jugendlichen sind begeistert, Kritik beschränkt sich auf nicht eingeblendete Liedtexte und die Dauer des Abends: "zu kurz", ist hier und da zu hören. Und auch Jesus-House-Sprecher Brand sagt, die Erwartungen seien "voll erfüllt". Insgesamt habe man deutschlandweit 29.000 Besucher gezählt. Und, sagt Brand weiter: "Von den Übertragungsorten weiß ich es nicht, aber hier in Stuttgart sind Jugendliche bei dem Aufruf nach vorn gekommen." Andere hätten am Platz mitgebetet, und nach der Veranstaltung habe es sehr viele gute Gespräche gegeben. "Offenbar haben viele den Abend nicht als reine Party gesehen."
"Gottes Segen mit dir"
Erreicht so eine Party mit Gott junge Menschen, die sonst keine Berührung mit Kirche haben? Als Matthias Clausen bei der Assoziationsübung am Anfang seiner Predigt Gott ins Spiel bringt, brandet jedenfalls gleich Jubel auf, und am Ende des Abends verabschieden sich die Jugendlichen hier und da mit "Gottes Segen mit dir". Auch bei einer kleinen Umfrage am Eingang war niemand zu finden, der nicht zu einer christlichen Jugendgruppe oder Gemeinde gehört. Anderswo oder auch an den kommenden Abenden, gerade am Wochenende, mag das anders aussehen.
Bleibt die Frage, was bleibt von so einem Event. Wenn Glaube tragen soll, muss sich schließlich im Leben bewähren, nicht nur in einer Festivalatmosphäre Begeisterung anfachen. Beantworten lässt sich diese Frage wohl nur für jeden einzelnen Besucher und auch nicht nach dem ersten Abend. Der Problematik bewusst sind sich die Jesus-House-Macher jedenfalls: "Wenn die Übertragungen zu Ende sind, beginnt eigentlich das Entscheidende", hat Matthias Clausen schon vor Beginn betont. "Wir können nur ein erstes Interesse wecken. Danach sind vor allem die Veranstalter und Jugendgruppen vor Ort gefragt."
Ulrich Pontes ist freier Journalist "für Wissenschaft & mehr" - dieses "Mehr" hat wie hier meistens mit Glaubens- und Zeitgeistthemen zu tun.