Mit diesem Empfang hatte Hélen Faasen nicht gerechnet. Als sie vor zehn Jahren in ihrem langen weißen Brautkleid vor dem Amsterdamer Rathaus aus dem Auto stieg, wurde sie von einem Blitzlichtgewitter empfangen. "Dutzende von Kameras waren da. Es war überwältigend", erinnert sie sich. Am 1. April 2001 war die ganze Welt Zeuge, als sie und Anne-Marie Thus sich das Ja-Wort gaben. Sie gehörten zu den vier gleichgeschlechtlichen Paaren, die damals in Amsterdam standesamtlich getraut wurden.
Verfechter der heiligen Ehe zwischen Mann und Frau hatten bis zuletzt auf einen Aprilscherz gehofft. Doch was sich am frühen Morgen vor laufenden Kameras abspielte, war bei aller Heiterkeit ernst gemeint: Im Rathaussaal traten neben den beiden Frauen auch drei männliche Paare vor Bürgermeister Job Cohen und ließen sich trauen. Am 1. April 2001 trat in den Niederlanden als erstem Land der Welt das Gesetz zur Gleichstellung der Ehe für Schwule und Lesben in Kraft.
Belohnung für jahrelangen Kampf
"Es war ein historischer Moment", erinnert sich Henk Krol, Chefredakteur der niederländischen Homosexuellen-Zeitung "Gaykrant". "Es war die Belohnung für den jahrelangen Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung", bilanziert Krol.
Seit den 70er Jahren hatte die niederländische Homosexuellen-Bewegung für die volle Gleichstellung gekämpft. Vor allem die christlichen Parteien hatten mit dem Hinweis auf die Bibel erbitterten Widerstand geleistet. Nur aus einer Verbindung von Mann und Frau würden auch Kinder geboren. Außerdem befürchtete man heftige Kritik aus dem Ausland. Doch die damalige sozial-liberale Koalition setzte sich durch.
Der Trauschein bietet gleichgeschlechtlichen Paaren mehr Rechtssicherheit etwa bei Renten- oder Erbfragen und beim Sorgerecht für mögliche Kinder. Gleichgeschlechtliche Ehepaar dürfen in den Niederlanden auch Kinder adoptieren.
"Das Klima ist härter geworden"
Für Hélen und Anne-Marie aber war die Hochzeit vor allem eine symbolische Besiegelung ihrer Beziehung. Seit zehn Jahren führen sie mit ihren beiden Kindern ein ganz normales Familienleben. Nachbarn und Kollegen haben sich längst daran gewöhnt, dass sie mit einer Frau verheiratet sei, sagt Hélen. "Doch das Klima in Amsterdam und auch im ganzen Land ist härter geworden." Die Toleranz gegenüber Homosexuellen habe abgenommen.
Das stellt auch der Interessenverband der Homosexuellen (COC) fest. Immer häufiger würden vor allem schwule Paare angepöbelt oder sogar tätlich angegriffen, vor allem von marokkanischen Jugendlichen. Aber auch Niederländer ohne ausländische Wurzeln haben noch immer Bedenken. Jeder fünfte würde die sogenannte Homo-Ehe am liebsten wieder abschaffen. Amsterdam hat den Ruf der toleranten "Gay Capital of the World" verloren.
Die Niederlande sind Vorreiter
"Dennoch haben wir viel erreicht", sagt Chefredakteur Krol. Zu heftigen Protesten oder gar der befürchteten internationalen Isolation kam es nicht. Im Gegenteil. "Die Niederlande waren nur Vorreiter für andere", sagt Krol. Doch müsse noch viel geschehen. In mehr als 70 Ländern ist Homosexualität verboten und Schwulen droht Gefängnis oder sogar die Todesstrafe.
Seit dem 1. April 2001 haben in den Niederlanden knapp 15.000 schwule und lesbische Paare geheiratet. Damit sind diese offenbar weniger heiratslustig als heterosexuelle Paare. Nur 20 Prozent der Homo-Paare gehen die Ehe ein. Bei Hetero-Paaren sind es 80 Prozent. Doch wenn es um das Ende einer Liebe geht, gibt es keinen Unterschied. Homosexuelle Paare treffen sich ebenso häufig vor dem Scheidungsrichter wieder. Fast jede dritte Ehe wird geschieden.
Davon kann bei Hélen und Anne-Marie keine Rede sein. Sie feiern an diesem Freitag, dass sie seit zehn Jahren auch vor dem Gesetz Frau und Frau sind. Zehn Jahre nach ihrer Hochzeit gelten Homoehen weithin als selbstverständlich. Prominente Schwule haben mit schillernden Hochzeitspartys dazu beigetragen. Popstar Elton John und sein Partner David Furnish feierten den Bund fürs Leben 2005 in Windsor mit großem Staraufgebot. Starfriseur Udo Walz und Carsten Thamm ließen 2008 in Berlin stilvoll rote Rosen auf sich herabregnen. Selbst für politische Karrieren sind Homosexualität und Homoehe in vielen Ländern kein Hinderungsgrund mehr, wie Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle mit seinem Lebensgefährten Michael Mronz zeigt.
In neun Staaten gibt es "echte" Homoehen
Dennoch beruht die weit verbreitete Annahme, ein Jahrzehnt nach dem "Signal von Amsterdam" könnten Schwule und Lesben zumindest in der westlichen Welt fast überall problemlos Ehen schließen, auf einem Missverständnis: Wenn überhaupt zugelassen, führen Homohochzeiten bis heute meist lediglich zu rechtlich mehr oder weniger weitgehenden eingetragenen Partnerschaften. Lediglich neun der mehr als 190 Staaten der Welt sind dem Beispiel der Holländer gefolgt und erlauben Homosexuellen genau dieselben Ehen zu schließen wie das Gesetz sie zwischen Frau und Mann vorsieht.
Zwei Jahre nach dem denkwürdigen 1. April 2001 öffnete Belgien die Institution Ehe für gleichgeschlechtliche Partner. Es folgten Spanien, Kanada, Südafrika, einige wenige Bundesstaaten der USA, Norwegen, Schweden, Portugal und 2010 schließlich Argentinien sowie Island. Dort waren Regierungschefin Jóhanna Sigurdardóttir und ihre Gefährtin Jónina Leósdóttir die ersten Bürgerinnen, die ihre eingetragene Partnerschaft in eine echte Ehe umwandelten.
In Deutschland gelten Partnerschaften
Von einer solchen Möglichkeit sei die Bundesrepublik noch ein ganzes Stück entfernt, sagt Renate Rampf, Sprecherin des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD). Obwohl die Mehrheit der Deutschen Homoehen akzeptiere, seien diese Partnerschaften gesetzlich immer noch schlechter gestellt als Ehen. So beim Steuer- und Erbrecht, bei einer Adoption oder wenn in einer Partnerschaft von Lesben Kinder geboren werden. "Gegen die vollkommene Gleichstellung sperrt sich die schwarz-gelbe Bundesregierung mit allen Mitteln", beklagt Rampf.
Zu den Vorkämpfern der "echten" Ehe für Homosexuelle gehört die Landesregierung von Berlin, das viele Niederländer wegen seiner toleranten Atmosphäre als "Deutschlands Amsterdam" sehen. Im Sommer 2010 scheiterte Berlin allerdings mit einer entsprechenden Bundesratsinitiative an der Ländermehrheit. "Wir kämpfen weiter", sagt Berlins Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Carola Bluhm (Die Linke). "Was die Niederlande vor zehn Jahren geschafft haben, werden wir in Deutschland auch erreichen." Soweit das Berliner Landesrecht gelte, seien Homo-Partnerschaften der Ehe inzwischen gleichgestellt.