Fukushima: Wohin mit dem verstrahlten Wasser?
Im japanischen Katastrophen-Kraftwerk Fukushima ist keine Entspannung in Sicht. Die Arbeiter wissen nicht wohin mit dem verstrahlten Wasser. Nach dem Erdbeben und dem Tsunami an der Ostküste versuchen die Behörden, 4000 Leichen zu identifizieren.

Der Kampf gegen einen Super-GAU im havarierten Atomkraftwerk Fukushima kann noch Monate dauern. Japans Ministerpräsident Naoto Kan bezeichnete die Lage in der Atom-Ruine am Dienstag im Parlament als "unvorhersehbar". Im Boden um das Kraftwerk Fukushima Eins war zuvor hochgiftiges, radioaktives Plutonium entdeckt worden. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will Japan am Donnerstag einen Solidaritätsbesuch abstatten.

Die gemessene Plutonium-Menge sei gering und für Menschen nicht gefährlich, erläuterte der Kraftwerksbetreiber Tepco. Sie entspreche derjenigen, die in früheren Jahrzehnten nach Atombombentests in Japan gemessen wurde. Der hochgiftige Stoff wurde in Bodenproben festgestellt, die Tepco am 21. und 22. März nehmen ließ. Regierungssprecher Yukio Edano sagte dazu, die Lage sei "sehr ernst", der Plutoniumfund sei ein Hinweis auf "einen gewissen Anteil schmelzender Brennstäbe". Aus welchem der beschädigten Reaktoren das Plutonium stammt, ist bisher nicht bekannt.

Die japanische Regierung erwähnt womöglich eine Verstaatlichung des Energiekonzerns Tepco. So jedenfalls wurde der Minister für die nationale Politik, Koichiro Gemba, von der Nachrichtenagentur Kyodo zitiert. Regierungssprecher Edano dagegen sagte, das werde momentan nicht überlegt. Hintergrund der Berichte ist, dass das Unternehmen womöglich gewaltige Summen an Entschädigung zahlen muss - zum Beispiel an Anwohner des Unglücks-AKW Fukushima und an Bauern, die verstrahlte Produkte nicht mehr verkaufen konnten.

Es fehlt an Tanks für das radioaktive Wasser

Am beschädigten Kraftwerk selbst gingen die Arbeiten zum Entschärfen der Atom-Krise weiter. Dabei macht das radioaktiv verstrahlte Wasser in Wassergräben und den Turbinenhäusern der Reaktoren den Einsatz lebensgefährlich. Es stand zeitweise bis zu einen Meter hoch in den Kellern der Turbinenhäuser von vier der sechs Reaktorblöcke in Fukushima Eins.

Hauptaufgaben der Einsatzkräfte sind derzeit das Abpumpen des verseuchten Wassers, das Wiederherstellen der Stromversorgung und die Umstellung auf elektrische Pumpen. Doch die Arbeiter wissen nicht, wohin mit der für Menschen hochgiftigen Flüssigkeit in den Turbinenhäusern. Es fehle an genügend Tanks, berichtet die Nachrichtenagentur Kyodo am Dienstag. Das Wasser stand zeitweise bis zu einen Meter hoch in den Turbinenhäusern der Meiler in Fukushima. Es ist jedoch unterschiedlich stark belastet.

Arbeiter der Betreiberfirma Tepco pumpten weiter verstrahltes Wasser aus dem Reaktorblock 1 in einen Tankbehälter. Beim Wasser in den Turbinenhäusern der Blocks 2 und 3 sei dies aber wegen der Speicherfrage aktuell nicht möglich, schrieb Kyodo. Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa sagte nach Angaben des staatlichen Nachrichtensenders NHK, es sei zwar Tepcos Aufgabe, das Wasser zu beseitigen. Aber die Armee würde auch helfen, falls es eine entsprechende Anfrage gäbe.

Tokio nimmt Hilfe aus dem Ausland an

Der Chef der US-Atomregulierungsbehörde (NRC), Gregory Jaczko, sprach nach einem Treffen mit japanischen Regierungskollegen und Atomexperten in Tokio von einer "anhaltend ernsten Herausforderung". Die NRC und das US-Energieministerium haben Dutzende Fachleute nach Japan geschickt, um die Lage einzuschätzen und Experten vor Ort zu beraten.

Inzwischen wollen die Japaner verstärkt ausländische Fachleute heranziehen, um die havarierten Reaktoren unter Kontrolle zu bringen. Außenminister Takeaki Matsumoto erklärte nach einem Kyodo-Bericht, Frankreich, Russland und die Vereinigten Staaten seien die wichtigsten Länder, die die Atomenergie nutzten. Tokio sei "sehr bereitwillig", Technologie und Wissen anderer Nationen bei der Lösung der Krise zu nutzen.

In Südkorea wies das Institut für Nuklearsicherheit geringe Mengen von radioaktivem Jod-131 in der Luft nach. Die koreanischen Wissenschaftler vermuten, dass der Stoff aus dem havarierten Atomkraftwerk Fukushima stammt.

Experte Sailer: "knapp unter oder in der Kernschmelze"

Der deutsche Atomexperte Michael Sailer warnte im Deutschlandfunk, dass die Arbeiter in dem schwer beschädigten Kraftwerk voraussichtlich noch "viele Wochen, viele Monate" gegen eine drohende Kernschmelze kämpfen müssten. Der Chemiker ist Mitglied der Reaktorsicherheitskommission des Bundes, Sprecher der Geschäftsführung des Öko-Instituts und ein bekannter Kritiker der Kernenergie.

Der Fund von Plutonium an fünf Stellen in Fukushima bedeute, dass die Brennstäbe "entweder knapp unter der Kernschmelze oder in der Kernschmelze" seien, sagte Sailer. "(...) Plutonium geht erst bei sehr hohen Temperaturen raus." Der Wissenschaftler geht davon aus, dass die Techniker in dem Atomkraftwerk selbst nicht wissen, in welchem Zustand sich der Reaktorkern befindet.

Nach dem Tsunami: 11.082 Menschen tot

Bei der Identifizierung der Toten nach dem Erdbeben und Tsunami vom 11. März setzt die Polizei unterdessen auf das Internet. Bei etwa 4000 Leichen, die in den Präfekturen Miyagi, Iwate und Fukushima gefunden wurden, sei noch unklar, um wen es sich handelt, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo.

Die Polizei veröffentliche deswegen im Internet Informationen zu Kleidung und Größe der Toten, sowie zu persönlichen Dingen, die bei den Leichen gefunden wurden. Die Zahl der offiziell für tot erklärten Opfer stieg am Dienstag auf 11.082. Weitere 16.717 Menschen werden nach wie vor vermisst. Ministerpräsident Kan will einen Sonderetat neben dem eigentlichen Staatshaushalt von umgerechnet etwa 17 bis 26 Milliarden Euro aufstellen. Mit dem Geld sollen die Folgen der Erdbeben-Katastrophe vom 11. März bewältigt werden.

Auch mehr als zwei Wochen nach dem verheerenden Beben mit Tsunami kommen Hilfsgüter aus dem Ausland nur zögerlich bei den Flüchtlingen an. Ein Mitarbeiter einer Botschaft in Tokio kritisierte in der Zeitung "Yomiuri": "Wenn wir mehr konkrete Informationen von der japanischen Regierung bekommen würden, welche Hilfen in bestimmten Gebieten benötigt werden, könnten wir effizienter helfen". Dem Bericht zufolge lagern in einigen Botschaften in Tokio Hilfsgüter aus dem Ausland, die allerdings nicht verteilt werden könnten, da Informationen von der japanischen Regierung ausblieben.

dpa