Brasilien ist heute offen für alle Religionen. Und so stört es keinen, dass die wiederaufgebaute älteste Synagoge des amerikanischen Doppelkontinents ausgerechnet in der "Rua do Bom Jesus", der "Straße des Guten Jesus" liegt. Nur Schilder weisen in Recifes Altstadt darauf hin, dass die kleine Straße vor Jahrhunderten mal "Rua dos Judeus", "Straße der Juden", hieß. Zwar wird die Synagoge "Kahal Zur Israel" (Fels-von-Israel-Gemeinde) heute als Museum und Forschungsstätte und nur noch selten für religiöse Feste genutzt, aber sie ist ein Markstein jüdischer Kultur in der Neuen Welt.
"Bor": Ein Brunnen für die rituelle Reinigung
Dicht an dicht und auf Zehenspitzen drängen sich die Schulkinder, um einen Blick auf das zu erhaschen, was sich unter der massiven durchsichtigen Glasplatte im Boden verbirgt. Schwach beleuchtet wird die Sicht frei auf einen "Bor", einen Brunnen, aus dem Wasser geschöpft wurde für die im Judentum vorgeschriebene rituelle Reinigung. "Männer mindestens einmal im Jahr, Frauen jeden Monat", erklärt der Museumsführer den Kindern. Der Brunnen ist im Originalzustand, der Fußboden aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Nur die etwa zwei Meter entfernt liegende "Mikwe", das rituelle Tauchbad, wurde rekonstruiert.
Nachdem die Überreste Ende der 1990er Jahre entdeckt wurden, begann die Ausgrabung. "Drei Rabbiner aus Buenos Aires, São Paulo und Israel haben den Brunnen genau untersucht und vermessen und festgestellt: Ja, es ist ein Bor", schildert die Historikerin Stéphanie Zumba den aufregenden Fund in dem Gebäude, in dem zuletzt ein Elektro-Laden war. Die junge brasilianische Wissenschaftlerin arbeitet im Archiv für Jüdische Geschichte in Pernambuco, das in dem komplett restaurierten Synagogen-Gebäude im oberen Stock untergebracht ist.
Von dort blickt der Besucher von einer Balustrade auf den Gebetsraum und den Toraschrein. Bänke stehen an beiden Seiten. Zwischen den braunen Ziegelsteinen der aus dem 17. Jahrhundert erhaltenen Wand stecken - wie an der Klagemauer in Jerusalem - kleine weiße Zettel mit Gebeten. Wie kamen die Juden vor Jahrhunderten nach Recife? Was zog sie ausgerechnet in diese, so fern der Heimat gelegene Stadt am Atlantik?
Juden aus Recife gründen erste Gemeinde in "Nieuw Amsterdam"
Die Gründe sind wie so oft in der Geschichte des jüdischen Volkes in Verfolgung, Vertreibung und Flucht zu suchen. Recife war von etwa 1630 bis 1654 eine "Oase der religiösen Freiheit". "Für viele Juden war dieser Teil Brasiliens das Land der großen Möglichkeiten", erläutert die Wissenschaftlerin Zumba. Die Niederländer hatten den katholischen Portugiesen den Nordosten abgetrotzt und in Recife (damals Mauritsstad) ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Sie brachten dem Land Fortschritt, Offenheit und Religionsfreiheit.
Das lockte tausende Juden an, die vor den Häschern der Inquisition und der drohenden Zwangschristianisierung aus Spanien und Portugal in die Niederlande, vor allem nach Amsterdam geflohen waren. Die Synagoge in Recife wurde von Sepharden, also aus Spanien und Portugal stammenden Juden gegründet. Die Bauarbeiten begannen 1637, eröffnet wurde sie 1642. Doch die liberale Zeit währte nur ein knappes Vierteljahrhundert. 1654 besiegten die Portugiesen die Niederländer, und deren Ära im Nordosten Brasiliens ging endgültig zu Ende.
Für die Juden in Recife kehrte aber damit der alte Schrecken zurück. Viele schifften sich ein, gingen zurück nach Amsterdam. 23 Juden aus Recife - Männer, Frauen und Kinder - aber segelten einen anderen Kurs und gingen Anfang September 1654 nach neun Monaten Fahrt in "Nieuw Amsterdam" an Land. Dort wurden sie zwar vom despotischen und antisemitischen Gouverneur Peter Stuyvesant alles andere als willkommen geheißen. Doch sie blieben und gründeten die erste jüdische Gemeinde der Stadt, die zehn Jahre später von den Briten eingenommen wurde und seitdem New York heißt.