Vier große Demos: "Atomkraft abschalten, jetzt!"
An den Großdemonstrationen gegen eine weitere Nutzung von Atomkraft in Deutschland haben sich am Samstag nach Angaben der Veranstalter rund 250.000 Menschen beteiligt. Die Polizei schätzte die Teilnehmerzahlen in den vier Städten Berlin, Hamburg, Köln und München teils deutlich niedriger. Die Organisatoren sprachen von den bisher größten Anti-Atom-Protesten in Deutschland. Die Antwort der Bundesregierung müsse das Abschalten aller Atomkraftwerke sein.
26.03.2011
Von Bettina Röder

"In der U-Bahn habe ich noch gedacht, das ist ja wie ein Familienausflug hier." Die 23-jährige Sophie Rein lacht. "Natürlich, dafür ist diese Demo ein bisschen groß", räumt sie ein. "Aber ich finde die vielen Familien mit den Kinderwagen allemal besser als schwarz Vermummte."

Die Biologiestudentin aus Potsdam mit dem roten Lockenkopf beteiligt sich mit ihrer Freundin an dem langen Zug von Menschen, die an diesem Samstag in Berlin gegen die weitere Nutzung der Atomkraft protestieren. Auffallend viele von ihnen sind sehr jung.

Die nach Angaben der Veranstalter 120.000 Menschen bewegen sich vom Potsdamer Platz am Reichpietschufer entlang, vorbei am Tiergarten bis zur Straße des 17. Juni. Viele Menschen tragen den Aufkleber "Atomkraft, nein danke" auf ihren Jacken und Taschen. "Fukushima, Tschernobyl - was zu viel ist, ist zu viel", skandieren sie immer wieder, aber auch "Atomkraft abschalten, jetzt".

Der 32-jährige Ingo van Deest steht mit seinem neunjährigen Sohn Sascha am Straßenrand. Der trägt wie so viele hier ein selbstgemaltes Protestschild und schiebt seine graue Wollmütze ins Gesicht. Es ist kalt an diesem Frühjahrstag, nur ab und an kommt die Sonne zwischen den Wolken durch. "Der Zeitpunkt ist der richtige, um ganz stark zu unterstreichen, dass wir das auch für unsere Kinder nicht mehr wollen", sagt der Physiotherapeut und junge Vater. "Auch wenn das angesichts der Atomkraft in den vielen anderen Ländern wie ein Tropfen auf den heißen Stein ist."

"In München haben sie die Übersicht verloren"

Selbstgemalt ist auch das Transparent aus Packpapier, das die junge Ärztin Barbara Veit am Sportwagen ihrer vierjährigen Tochter angebracht hat. "Immer mehr und immer höher, das ist doch unser Verderben", sagt sie. "Wir alle müssen umdenken." Vorsichtig steuert sie den Kinderwagen durch die Menge, die immer dichter wird.

Kurz vor dem Brandenburger Tor an der Rednertribüne geht dann nichts mehr. Im Schritttempo bewegen sich die Menschen. "In Hamburg ist alles dicht und in München haben sie die Übersicht verloren", ruft eine Sprecherin von der Tribüne. Nach Angaben der Veranstalter sollen sich an den Großdemonstrationen in Berlin, Hamburg, Köln und München an diesem Tag rund 250.000 Menschen beteiligt haben. Die Schätzungen der Polizei liegen teils weit darunter.

Dann werden die Menschen in Berlin still. Sie gedenken zeitgleich mit den Demonstranten in den drei anderen Großstädten schweigend der Opfer des Erdbebens und der Atomkatastrophe in Japan. Nur leise ist aus dem nahegelegenen Tiergarten ein mahnendes Trommeln zu hören.

"Die Leute hier waren beachtlich friedlich, aber ich hätte heute auch lieber was anderes gemacht", sagte ein junger Polizist am Großen Stern. "Gute Fahrt" hatte sein Kollege am Potsdamer Platz zu Beginn den vielen Demonstranten gewünscht, die mit dem Rad gekommen waren.

Probst: Atomenergie weg von der Erdoberfläche

Während der Abschlusskundgebungen unterbrachen die Initiatoren in allen vier Städten die Veranstaltungen zu einer Schweigeminute für die Katastrophenopfer in Japan. Der evangelische Propst Jürgen Bollmann rief in seiner Rede in Hamburg dazu auf, bei allem nötigen Protest gegen die Atomkraft die bisherigen Opfer niemals zu vergessen. Schweigen stehe nicht im Gegensatz zum lautstarken Protest. "Wir werden diesen Protest brauchen, damit die Atomenergie von der Erdoberfläche verschwindet", sagte der Propst.

In Berlin betonte der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Hubert Weiger, die Nutzung der Kernenergie sei unverantwortlich, weil sie gegen das Grundrecht auf Leben verstoße. Nach Ansicht des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer hat der Atomunfall im japanischen Fukushima gezeigt, dass die Atomenergie keine Brückentechnologie sei. Diese Brücke sei endgültig eingestürzt.

Unterdessen plädierte auch der frühere Bundesumweltminister und CDU-Politiker Klaus Töpfer für einen schnellen Ausstieg aus der Atomenergie. In einem Interview mit der "Bild am Sonntag" sagte der Vorsitzende der von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eingesetzten Ethikkommission zum weiteren Umgang mit Kernenergie in Deutschland: "Wir sollten aus einer Technik, bei der Ereignisse nicht ausgeschlossen werden können, die nicht beherrschbar sind, so schnell wie möglich rausgehen." Allerdings wolle er der Arbeit seiner Kommission nicht vorgreifen, die am 4. April erstmals zusammenkommt.

In der Ethikkommission werde es auch darum gehen, wie der Umstieg auf andere Energieformen sozialverträglich, ökologieverträglich und auch wirtschaftlich verträglich vorgenommen werden kann, sagte Töpfer am Samstag im Deutschlandfunk: "Und dann geht das sehr tief in ethische Fragen hinein." Nicht zu Unrecht seien gerade auch sehr prominente Vertreter der Kirchen in der Kommission vertreten.
 

epd