Super-Wahlsonntag mit bis zu 112 Kreuzchen
Das Wahljahr 2011 erreicht am 27. März seinen Höhepunkt: Mit großer Spannung wird nach den Stuttgart-21-Protesten und der Atomenergie-Debatte der Ausgang der Landtagswahl in Baden-Württemberg erwartet. Auch in Rheinland-Pfalz wird der Landtag neu gewählt, und die Einwohner von Hessen bestimmen ihre Kommunalparlamente neu. Während die Wähler in Baden-Württemberg nur eine Stimme und die in Rheinland-Pfalz zwei zu vergeben haben, wird es für Wähler in den hessischen Städten und Kommunen unübersichtlich: In Frankfurt dürfen die Wähler - je nach Stadtteil - bis zu 112 Kreuzchen machen.
25.03.2011
Von Anne Kampf

Der Stimmzettel, der vorab als Muster an alle Frankfurter Haushalte geschickt wurde, ist 118 mal 62,5 Zentimeter groß. Von links nach rechts sind 18 Parteien aufgezählt, von oben nach unten jeweils bis zu 93 Namen, hinter denen je drei Kreuzchen gesetzt werden können. Das ist der Stimmzettel für die Stadtverordnetenversammlung, dazu kommt noch der (kleinere) für die jeweilige Ortsbeiratswahl. Die hessischen Wähler werden sich also unter Umständen einige Zeit in den Wahlkabinen aufhalten - besonders, wenn sie sich nicht vorher mit dem Wahlsystem befasst haben.

Das System heißt "Verhältniswahl mit offenen Listen". Was die Wähler zu tun haben, nennt man "Kumulieren und Panaschieren" (auf Deutsch: Häufeln und Mischen) und bedeutet: Man kann bis zu drei Stimmen an einen Kandidaten vergeben (kumulieren) oder sie querbeet verteilen (panaschieren). Wer erreichen will, dass eine bestimmte Partei möglichst stark in der Stadtverordnetenversammlung vertreten ist, kann einfach die Liste seiner Partei ankreuzen.

Der Nachteil dieses Systems ist, dass es so unübersichtlich ist. Auch die Wahlvorstände haben ihre liebe Mühe: "Wenn Sie das auszählen, ist das die Hölle", sagt Nicolai Dose, Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. Das Kumulieren und Panaschieren hat in Süddeutschland Tradition. Der Vorteil: "Vor allem in kleineren Gemeinden macht es Sinn, weil man da die Kandidaten kennt, das stärkt das Persönlichkeitselement."

Dose hält das System des Kumulierens und Panaschierens deshalb für "relativ demokratisch." Das Wahlergebnis ist ein direktes Spiegelbild des Wählerwillens, die Parteien treten gegenüber den Personen in den Hintergrund. Auf Landesebene wäre das System "Kumulieren und Panaschieren" nach Ansicht des Politik- und Verwaltungswissenschaftlers weniger sinnvoll, weil der Wähler die Kandidaten aus anderen Landesteilen gar nicht kennt.

Baden-Württemberg: Vorteil für große Parteien

Das Wahlsystem in Baden-Württemberg ist eine "Personalisierte Verhältniswahl" und für den Wähler das Gegenteil zum hessischen Kommunalwahlsystem: Jeder darf nur ein Kreuzchen machen. Die Stimme wird an einen Kandidaten und damit gleichzeitig an dessen Partei vergeben. 70 Mandate im Stuttgarter Landtag werden nach relativer Mehrheit direkt an die Kandidaten verteilt, 50 weitere werden prozentual auf die Parteien umgelegt, "damit die Stimmen nicht verloren gehen und die kleineren Parteien auch eine Chance haben."

Dieses System bevorzugt die großen Parteien, und diese Bevorzugung wird in Baden-Württemberg durch zwei Faktoren noch verstärkt, erklärt Nicolai Dose: "Wenn eine Partei mehr Direktmandate erzielt hat als ihr nach Gesamtstimmenzahl zusteht, erhält sie Überhangmandate. Letztes Mal hatte die CDU elf Stück. Allerdings bekamen die anderen Parteien nur acht Ausgleichsmandate." Eine Verzerrung entsteht zusätzlich dadurch, dass die Überhang- und Ausgleichsmandate nach den vier Regierungsbezirken ermittelt werden. "Es gibt also eine doppelte Bevorzugung der großen Parteien und dazu ein Ungleichgewicht durch die Repräsentation der Regionen," erklärt Dose.

Vorteil des Systems: Es sorgt für Stabilität. "Die Tendenz zu einer Mehrheit wird künstlich so hochgezogen, dass sie regieren können," so der Politik- und Verwaltungswissenschaftler. Was den Wahlausgang in Baden-Württemberg angeht, kann er sich nach Stuttgart 21 und Fukushima vorstellen, dass Rot-Grün gewinnt. Das jeweilige Wahlsystem habe zwar eine Auswirkung auf das Ergebnis, doch inhaltliche Fragen würden eben doch manchmal Wahlen entscheiden. "Das wird spannend," freut sich Nicolai Dose.

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Rheinland-Pfalz: "übersichtlich, leicht und modern"

Das Wahlsystem in Rheinland-Pfalz ist - ebenso wie in Baden-Württemberg - eine "Personalisierte Verhältniswahl mit geschlossenen Listen". Es handelt sich um eine Kombination aus Mehrheitswahl und Verhältniswahl. Jeder Wähler hat in Rheinland-Pfalz (genauso wie bei der Bundestagswahl) zwei Stimmen: Die Erststimme für einen Direktkandidaten, die Zweitstimme für eine Partei. Der Vorteil für den Wähler in diesem System: Er kann splitten, das heißt: Erst- und Zweitstimme unterschiedlichen Parteien geben.

Doch anders als der Name es vermuten lässt, ist die Zweitstimme deutlich wichtiger als die Erststimme. Denn die Sitze im Parlament werden prozentual nach den Zweitstimmenanteilen der Parteien verteilt. Direktkandidaten sind häufig über die Landeslisten abgesichert und haben damit ohnehin ihren Platz im Parlament. Kandidaten großer Parteien können  über ihren Erststimmenanteil allenfalls Überhangmandate erzielen und dadurch die Macht ihrer Partei noch vergrößern. Einem Kandidaten einer kleinen Parteien die Erststimme zu geben, ist nur dann sinnvoll, wenn es sich um einen besonders charismatischen Kandidaten handelt, der nicht über die Landesliste abgesichert ist (was praktisch kaum vorkommt).

Überhang- und Ausgleichsmandate werden in Rheinland-Pfalz nach landesweiten Listen vergeben. "Dadurch ist die Verzerrung zugunsten der großen Parteien nicht so stark wie in Baden-Württemberg", erläutert Nicolai Dose. Der Fachmann hält das Wahlsystem in Rheinland-Pfalz insgesamt für "übersichtlich, leicht zu verstehen, modern und einer Demokratie angemessen." Einen Tipp traut er sich auch hier abzugeben: "Ich nehme an, dass die SPD das machen wird." Diese Prognose hängt für ihn stark mit Kurt Beck zusammen: "Die Rheinland-Pfälzer wollen immer gern einen Landesvater."