Wirtschaftsminister Rainer Brüderle soll das Atom-Moratorium der schwarz-gelben Regierung vor Industrie-Vertretern mit den anstehenden Landtagswahlen begründet haben. Das geht aus einem Protokoll des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) hervor, das der "Süddeutschen Zeitung" nach eigenen Angaben vorliegt.
Brüderle wies die Vorwürfe am Donnerstag im Bundestag zurück. Die Sicherheit der Kernkraftwerke habe für die schwarz-gelbe Regierung absolute Priorität. "Uns Wahlkampfmanöver vorzuwerfen, ist absurd." Der BDI sprach von einem Protokollfehler. Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf sagte: "Die Äußerung des Bundeswirtschaftsministers ist falsch wiedergegeben worden." Schnappauf sagte aber nicht, was genau falsch gewesen sei. Das Protokoll war am Mittwoch an rund 50 Mitglieder der BDI-Spitze verschickt worden.
Entscheidungen seien laut Brüderle "nicht immer rational"
Laut Sitzungsprotokoll bestätigte Brüderle als Gast einer BDI-Sitzung am 14. März - wenige Tage nach Beginn der Atom-Katastrophe in Japan - das am selben Tag von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) verkündete Moratorium. Er "wies erläuternd darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien". Den Eindruck, das Moratorium hänge mit den Wahlen zusammen, hatte die Regierungskoalition aus Union und FDP eigentlich vermeiden wollen. Am kommenden Sonntag wird in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewählt.
Unter den anwesenden führenden Industriemanagern waren am 14. März bei der Sitzung von BDI-Vorstand und -Präsidium die Vorstandschefs der Energiekonzerne RWE und Eon, Jürgen Großmann und Johannes Teyssen. Während der Sitzung sei die Meldung hereingereicht worden, dass Bundeskanzlerin Merkel nach der Katastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima die von der Regierungskoalition erst 2010 verlängerten Laufzeiten für die deutschen Atommeiler per Moratorium aussetzen wolle, schreibt die "Süddeutsche Zeitung".
BDI-Präsident Hans-Peter Keitel habe daraufhin von Minister Brüderle wissen wollen, was es damit auf sich habe. Laut Protokoll habe Brüderle betont, ein Befürworter der Kernenergie zu sein, auch mit Rücksicht auf Branchen, die besonders viel Energie verbrauchten. Es könne daher keinen Weg geben, der diese Branchen "in ihrer Existenz gefährde".
Schallendes Gelächter der Opposition nach Angabe eines "Protokollfehlers"
Im Bundestag griff die Opposition die Regierung nach Bekanntwerden der Äußerungen scharf an. "Was Sie dort betreiben und sagen, wegen der Landtagswahlen machen wir jetzt mal eine Aussetzung und danach geht es im Kern so weiter, das ist ein verantwortungsloses Spiel mit den Bürgerinnen und Bürgern", sagte Linke-Fraktionschef Gregor Gysi. Brüderle habe wohl vergessen, dass "reiche Knöppe" und noch dazu "deutsche Knöppe" immer Protokoll führen. Die Oppositionsparteien reagierten mit schallendem Gelächter auf Brüderles Aussage, es habe ein Protokollfehler vorgelegen.
Die Grünen sehen nach dem angeblichen Atom-Wahlkampf-Bekenntnis die Glaubwürdigkeit von Kanzlerin Merkel beschädigt. Die meisten Deutschen hielten das schwarz-gelbe Atom-Moratorium - die Abschaltung von sieben älteren Atommeilern für drei Monate nach der Japan-Katastrophe - sowieso für ein bloßes Wahlkampfmanöver. "Das taten sie schon, bevor Herr Brüderle beim Bundesverband der Deutschen Industrie diese Wahrheit auch noch ausdrücklich protokollieren ließ", sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. "Die Glaubwürdigkeit der Bundeskanzlerin ist in einer zentralen Frage beschädigt."
"Brüderle hat die Katze aus dem Sack gelassen"
Linke-Chef Klaus Ernst forderte von Merkel Klartext, ob das Atom-Moratorium nur ein Wahlkampfmanöver ist. "Brüderle hat die Katze aus dem Sack gelassen. Das Atommoratorium war ein betrügerisches Wahlkampfmanöver von Schwarz-Gelb." Und weiter: "Es gibt jetzt nur zwei Möglichkeiten: Entweder Merkel entlässt Brüderle, oder sie gibt ihm Rückendeckung und stellt sich als bekennende Betrügerin den Wählern", sagte Ernst.
Die Regierung aus Union und FDP will erst nach Ablauf des Moratoriums Mitte Juni entscheiden, welche der abgeschalteten Meiler wieder ans Netz dürfen. Bis dahin sollen alle Atomkraftwerke, besonders aber die ältesten Anlagen, einer umfassenden Sicherheitsprüfung unterzogen werden. Zwei Kommissionen sollen im Auftrag der Kanzlerin die Sicherheit der Atomkraft in Deutschland grundlegend klären.
In Umfragen hat das Atom-Moratorium Schwarz-Gelb bisher nicht genutzt. Vor der Landtagswahl am Sonntag in Baden-Württemberg kommen Grüne und SPD in einer neuen Umfrage auf 48 Prozent und liegen damit deutlich vor Union und FDP. Nach der am Donnerstag veröffentlichten Umfrage für "stern.de" und RTL erreichen die Grünen und die SPD jeweils 24 Prozent. Die CDU (38 Prozent) und die FDP (5 Prozent) erreichen zusammen nur 43 Prozent.