Das kleine Portugal versetzt sich und ganz Europa in Angst und Schrecken. Ausgerechnet am Tag vor dem wichtigen EU-Gipfel in Brüssel löste der Rücktritt von Ministerpräsident José Sócrates im hoch verschuldeten ärmsten Land Westeuropas den befürchteten politischen GAU aus. Nicht nur João Vieira Lopes, Präsident des Nationalen Handelsverbandes, sieht schwarz. Der Druck der internationalen Märkte auf Portugal werde in den nächsten Wochen zunehmen. "Nur mit einer starken Regierung entkommen wir der Krise", warnte er. Die ist aber im tief zerstrittenen Land nicht in Sicht.
Sócrates prophezeit "schlimme Konsequenzen"
Im hoch verschuldeten Euro-Land Portugal hat der Rücktritt von Regierungschef José Sócrates nur wenige Stunden vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel eine schwere Krise ausgelöst. Mit seinem Rücktritt zog der Sozialist am Mittwochabend die Konsequenzen aus der Ablehnung seines jüngsten Sparpakets durch die Opposition bei einer Abstimmung am späten Abend im Parlament von Lissabon. Am EU-Gipfel will Sócrates aber noch teilnehmen. Alle Parteien sprachen sich unterdessen dafür aus, dass Präsident Anibal Cavaco Silva so bald wie möglich das Parlament auflöst und Neuwahlen ausruft.
"Die Opposition hat nicht nur das Sparpaket, sondern das gesamte Land blockiert", klagte Sócrates in einer Rede an die Nation. Man habe ihm in bewusster Form jede Regierungsfähigkeit entzogen, so der 53-jährige Politiker der Sozialistischen Partei (PS), der das Amt des Ministerpräsidenten seit 2005 innehatte. Er fügte hinzu, die Ablehnung des Pakets werde sehr schlimme Folgen für den Kampf gegen die Finanzkrise im ärmsten Land Westeuropas haben und auch die Glaubwürdigkeit Portugals in Mitleidenschaft ziehen.
"Man kann einem Land nicht Brot und Wasser verordnen"
Gebangt wird aber jetzt nicht nur in Portugal. Das große Zittern setzt nach der Ablehnung des jüngsten Sócrates-Sparpakets durch die Opposition und der Aufgabe des Regierungschefs auch beim "großen Nachbarn" Spanien ein. Die Regierung in Madrid schloss zwar sofort Ansteckungseffekte aus. Doch bei der konservativen Opposition sieht man das ganz anders. "Die Ungewissheit in Portugal ist für Spanien nicht gut, da es zwischen beiden Ländern enge Beziehungen gibt (...) Wir hoffen, dass Portugal keine externe Finanzhilfe in Anspruch nehmen muss", sagte José Eugenio Azpiroz von der Volkspartei PP der portugiesischen Nachrichtenagentur Lusa noch vor dem Rücktritt.
In Lissabon war es Mittwoch drunter und drüber gegangen: Während die Zinsen für längerfristige portugiesische Anleihen auf die neue Rekordmarke von 8,13 Prozent kletterten, legten die Arbeiter der öffentlichen Verkehrsmittel aus Protest gegen die Sparmaßnahmen wieder einmal die Arbeit nieder. "In diesem Land läuft nichts mehr, das ist eine Schande, wie soll man so seine Familie ernähren?", schimpfte eine ältere Frau vor den TV-Kameras. Ex-Präsident Jorge Sampaio rief alle politischen Akteure zur Vernunft auf und warnte, das hoch verschuldete EU-Land steuere dem Verderben entgegen.
Regierung und Opposition bezichtigen sich zuletzt immer häufiger gegenseitig der Lüge und der Unfähigkeit. Pedro Passos Coelho, Chef der konservativ orientierten Partei der Sozialdemokratie (PSD), lud am Dienstag bereits einige Parteien zur Bildung einer Koalition für die zu erwartenden Neuwahlen ein. Der charismatische Passos Coelho hatte bislang alle Sparmaßnahmen der Sozialisten mitgetragen, wurde beim vierten Sanierungsprogramm innerhalb eines Jahres aber nicht mehr konsultiert und schimpfte daraufhin: "Man kann einem Land nicht Brot und Wasser verordnen."
Überschuldung und gravierende Strukturproblemen
Portugal hat nicht nur mit Überschuldung zu kämpfen, sondern auch mit gravierenden Strukturproblemen. Die Arbeitslosigkeit erreichte zuletzt die Rekordmarke von 11,2 Prozent, es gibt eine Rezession und die Kreditwürdigkeit des Landes wurde erst vor wenigen Tagen wieder herabgestuft. Immer häufiger kommt es zu Arbeitsniederlegungen und es gibt - noch friedliche - Straßenproteste. Hilfsorganisationen und die Kirche klagen, Hunger und Verzweiflung hätten stark zugenommen. Externe Hilfe schloss die Regierung dennoch bis zuletzt aus.
Sócrates war deshalb auch in den eigenen Reihen unter Beschuss geraten. Außenminister Luis Amado klagte, alle Verantwortlichen hätten mit dem Schicksal des Volkes gespielt. Dabei war Sócrates aus Brüsseler Sicht sicher ein "Musterschüler". Er konnte im vergangenen Jahr das Haushaltsdefizit nach dem Negativ-Rekord von 9,4 Prozent 2009 wie angepeilt auf rund 7,3 Prozent drücken. Mit nie dagewesenen Sparmaßnahmen soll 2011 ein Niveau von 4,6 Prozent erreicht werden. Die Ausgaben für Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst werden um fünf Prozent gekürzt, die Mehrwertsteuer stieg von 21 auf 23 Prozent. Sozialleistungen werden gekürzt, die Renten eingefroren.
Auf Sócrates, Brüssel und Bundeskanzlerin Angela Merkel ist man in Portugal trotz aller Sparerfolge jedoch nicht gut zu sprechen. Der Kragen platzte endgültig, als die Regierung die Einfrierung der Mindestrenten von rund 200 Euro ankündigte. "Die Maßnahmen sind brutal. Man sollte zudem wissen, dass ein Land ohne Wachstum nicht aus einer Schuldenkrise herauskommen kann", sagte PSD-Politikerin Manuela Ferreira Leite, die "Eiserne Lady Portugals". Wenn aber Präsident Anibal Cavaco Silva wie erwartet das Parlament auflöst und für Ende Mai Wahlen ausruft, dann will Sócrates wieder ins Rennen.