Abzug: Härtetest für afghanische Sicherheitskräfte
Können afghanische Soldaten und Polizisten auch alleine mit den Taliban fertig werden? Die Antwort gibts ab Juli in zunächst drei Provinzen und vier Städten. Egal wie es dort läuft, der schrittweise Abzug der internationalen Truppen ist nicht mehr aufzuhalten.
23.03.2011
Von Stefan Mentschel und Michael Fischer

Den Ort für seine Rede hätte der afghanische Präsident Hamid Karsai kaum besser wählen können. Vor Rekruten und Ausbildern der Militärakademie in Kabul verkündete er am Dienstag die ersten Gebiete, in denen die Afghanen ab Juli ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen sollen. In drei Provinzen und vier Städten sollen dann afghanische Soldaten und Polizisten weitgehend alleine mit den Taliban fertig werden.

Die Rede war das Startsignal für einen dreieinhalbjährigen Prozess: 2014 soll das ganze Land von einheimischen Kräften kontrolliert werden. Einen Weg zurück gibt es nicht, auch das machte Karsai klar: "Die Afghanen sollten die Verantwortung für die Verteidigung des Landes unter allen Umständen selbst übernehmen."

Den ersten Härtetest müssen die afghanischen Soldaten und Polizisten in sehr unterschiedlichen Gebieten bestehen. In den Provinzen Pandschir und Bamian haben die Taliban kaum Rückhalt. In der Hauptstadtprovinz um Kabul ist die Lage ebenfalls relativ stabil. Den Problembezirk Surobi, in dem es immer wieder zu Taliban-Angriffen auf die internationalen Truppen kommt, klammerte Karsai aus.

In unruhigeren Provinzen werden zunächst nur einzelne Städte übergeben, darunter Laschkarga, die Hauptstadt der südlichen Taliban-Hochburg Helmand. Nach Ansicht von Beobachtern werden es die Afghanen hier am schwersten haben. In der Region Helmand konnten die Taliban zwar mit massiver US-Unterstützung zurückgedrängt werden. Doch die Aufständischen sind weiterhin stark und könnten versuchen, ein mögliches Sicherheitsvakuum auszunutzen.

Militärexperte: "Fehlende Sicherheitsstrategie"

Im Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr im Norden des Landes wird ebenfalls noch keine größere Fläche an die Afghanen übergeben, sondern mit Masar-i-Scharif nur eine Provinzhauptstadt mit 180.000 Einwohnern. Vor den Toren der Stadt liegt das in den vergangenen Jahren stark gewachsene Hauptquartier der Bundeswehr und der internationalen Schutztruppe in Nordafghanistan. Rund 3.500 Soldaten sind inzwischen im Camp Marmal untergebracht.

Ihre Präsenz auf den Straßen von Masar-i-Scharif soll ab Juli auf ein Minimum sinken. Ob die Afghanen ausreichend darauf vorbereitet sind, wird von vielen Experten bezweifelt. Zwar wurde die Ausbildung im vergangenen Jahr massiv intensiviert. Armee und Polizei hängt trotzdem der Ruf der Unzuverlässigkeit nach.

"Vielleicht haben wir gute Soldaten, doch es gibt weder eine gute Militärführung noch eine angepasste Sicherheitsstrategie (für die Zeit des Übergangs)", sagt der Militärexperte Noorul Haq Olomi. Auch die Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte sei nicht adäquat. Es fehle an Flugzeugen und schweren Waffen. Der Kommandowechsel zu diesem Zeitpunkt sei daher eine "symbolische" Aktion, denn die Armee könne längst nicht von der Nato unabhängig operieren, findet Olomi.

Reduzierung der internationalen Truppen

Parallel zur Übergabe der Sicherheitsverantwortung wird die Reduzierung der internationalen Truppen erfolgen. Die US-Amerikaner, die rund zwei Drittel der etwa 140.000 Soldaten stellen, wollen im Juli mit dem Abzug beginnen.

Die Bundeswehr will Ende des Jahres folgen, wenn die Sicherheitslage es zulässt. Zunächst einmal wird jedoch aufgestockt. Das hat allerdings nicht nur mit Afghanistan zu tun. Um die Bündnispartner in Libyen zu entlasten will die Bundeswehr bis zu 300 Soldaten für Einsätze der Awacs-Aufklärungsflieger der Nato zur Verfügung stellen. Im Januar hatte sich die Bundesregierung noch gegen eine Beteiligung an der Ausbildungsmission gewehrt. Im April wollte sie ohnehin neu entscheiden. Ohne Libyen wäre die Entscheidung schwerer gefallen.

dpa