Ein "Rat der Weisen" soll über die Atomzukunft beraten
Im Kanzleramt tagt das zweite Atom-Treffen nach dem Moratorium bei der Laufzeitverlängerung. Kanzlerin Merkel setzt nun auf externe Hilfe, um das gesellschaftliche Kampfthema zu lösen. Doch wie die AKW-Überprüfungen und eine atomfreie Zukunft aussehen sollen, ist unklar.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will die Zukunft der Kernenergie durch Experten aus allen Bereichen der Gesellschaft diskutieren lassen. Dazu werde eine Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung eingesetzt, sagte Merkel am Dienstag im Kanzleramt nach einem Spitzentreffen mit dem Bundesumwelt-, dem Bundeswirtschaftsminister sowie Ministerpräsidenten zur Nutzung der Kernenergie. Das Beratergremium mit Persönlichkeiten aus Politik, Kirchen, Wirtschaft, Forschung und Philosophie solle unter anderem die Frage erörtern, wie ein Ausstieg aus dem Atomzeitalter mit Augenmaß vollzogen werden könne, so Merkel.

Vorsitzende der neuen Kommission sollen der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) und der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Matthias Kleiner, werden. Zu den weiteren Gremienmitgliedern zählen unter anderen der badische evangelische Landesbischof Ulrich Fischer (Foto links, epd-bild), der Präsident des Zentralkomitees deutscher Katholiken, Alois Glück, der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, der Soziologe Ulrich Beck und der frühere Bundesbildungsminister Klaus von Dohnanyi (SPD). Insgesamt nannte Merkel 14 Namen. Der Kanzlerin zufolge könnte die Ethikkommission noch um bis zu drei Personen ergänzt werden.

"Sicherheit ist nicht ausrechenbar"

Merkel erläuterte, die Gruppe solle "im Lichte technischer Ergebnisse" gesellschaftliche Bewertungen diskutieren. Das Gremium arbeite eng mit der Reaktorsicherheitskommission zusammen. Diese überprüft derzeit im Auftrag des Bundesumweltministeriums die Sicherheitsstandards deutscher Atomkraftwerke angesichts der Ereignisse in Japan. Die politischen Schlussfolgerungen bis hin zu gesetzgeberischen Maßnahmen müsse dann die Politik ziehen, sagte die Kanzlerin. Mit Hilfe der Kommission und weiterer gesellschaftlicher Debatten würden die Entscheidungen auf eine "breitere und transparentere Grundlage" gestellt.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte, die Kommission sei auch Ausdruck dafür, dass Sicherheit nicht ausrechenbar sei, sondern am Ende der Wertung durch Politik und Gesellschaft unterliege.

Am Vormittag hatte sich die Kanzlerin mit den fünf Unions-Ministerpräsidenten aus Ländern mit Atomkraftwerken zusammengesetzt, um zum zweiten Mal binnen einer Woche über die Zukunft der Meiler nach der Reaktorkatastrophe in Japan zu beraten. Auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) nahmen teil. Bei dem Treffen ging es auch um einen schnelleren Ausbau von Ökoenergien und Stromnetzen.

Änderungen bei den Sicherheitsanforderungen

Angesichts der ungewissen Atom-Zukunft will Merkel den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen. Unklar ist, ob das im Herbst vorgestellte Energiekonzept dazu neu justiert werden muss. 2010 hatte Energie aus Sonnenlicht, Wind oder Biomasse einen Anteil an der Stromproduktion von knapp 17 Prozent, die Kernenergie von rund 22 Prozent und Kohle von 43 Prozent. Ein besonderes Augenmerk will Merkel auf einen schnelleren Ausbau der Leitungsnetze legen, etwa um künftig den Windstrom von der Küste in den Süden zu transportieren.

Bis Juni will Merkel analysieren lassen, welche Konsequenzen aus der Atomkatastrophe in Fukushima zu ziehen sind. Erst dann wird entschieden, welche Meiler weiter betrieben werden dürfen. Bereits kommende Woche sollen aber neue Sicherheitsvorgaben veröffentlicht werden. "Die Reaktorsicherheits-Kommission wird Ende des Monats einen Anforderungskatalog vorlegen", sagte der Kommissionsvorsitzende Rudolf Wieland der "Financial Times Deutschland". Er gehe davon aus, dass es nach Fukushima zu "materiellen Änderungen bei den Sicherheitsanforderungen" kommen wird.

Das 16-köpfige Expertengremium überprüft derzeit im Auftrag des Bundesumweltministeriums die Sicherheitsstandards für deutsche Atomkraftwerke. Umweltschützer kritisieren, dass viele Kommissionsmitglieder der Atomwirtschaft nahe stehen und daher in der Bewertung der AKW nicht unabhängig genug seien.

epd/dpa