TV-Tipp: "Marco W. – 247 Tage im türkischen Gefängnis"
Acht Monate schmorte ein junger Deutscher in türkischen Gefängnissen, weil er angeblich eine minderjährige Engländerin vergewaltigt haben sollte. Sat.1 hat aus Marcos Erlebnissen einen sehenswerten Film gemacht.
18.03.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Marco W. – 247 Tage im türkischen Gefängnis", 22. März, 20.15 Uhr auf Sat.1

Die Schlagzeilen sind noch gut in Erinnerung: Acht Monate schmorte ein junger Deutscher in türkischen Gefängnissen, weil er angeblich eine minderjährige Engländerin vergewaltigt haben sollte. Sat.1 und Zeitsprung haben aus Marcos Erlebnissen einen sehenswerten Film gemacht.

Das Drehbuch von Johannes Betz ("Der Tunnel", "Hindenburg") hält sich eng an die Vorlage, in der Marco Weiss seine Haft beschrieben hat. Unter der Regie von Oliver Dommenget ist ein Film entstanden, der mit einem erstaunlich niedrigen Kolportage-Anteil auskommt, auch wenn die Inszenierung der Haftbedingungen lebhaft an den ganz ähnlichen Sat.1- Zweiteiler "Für immer verloren" (2003) erinnert. Auch Marcos Geschichte hätte den üblichen Rahmen gesprengt. Die Länge von 110 Minuten ist völlig angemessen. Obwohl nach dem Prolog im Grunde nicht mehr viel passiert, vermeiden Buch und Regie jeden Leerlauf.

Bedrückende Knastszenen

Der Film konzentriert sich im Wesentlichen auf drei Schauplätze: das Gefängnis, der Gerichtssaal und das Haus von Familie Weiss, wobei die Knastszenen naturgemäß am bedrückendsten sind. Bei der Bildgestaltung haben Dommenget und sein Kameramann Georgij Pestov konsequent auf alles verzichtet, was Marcos Aufenthalt in dieser Vorhölle auch nur im geringsten menschenwürdig erscheinen lassen könnte. Die Aufnahmen sind kühl und düster, Farben fehlen fast völlig, Gemäuer und Einrichtung sind völlig runtergekommen, die hygienischen Zustände katastrophal und die Mitgefangenen Schwerverbrecher, denen man nicht auf einer einsamen Straße begegnen möchte. Gefühle zeigt einzig Abdullah (Bülent Sharif), der später prompt der Homosexualität bezichtigt und furchtbar verprügelt wird; ein offenbar unverzichtbares Versatzstück des modernen Gefängnisfilms. Immerhin gibt es keine Vergewaltigung.

Während Veronica Ferres und Herbert Knaup die Eltern eher routiniert als bemerkenswert spielen, die Hilflosigkeit und Verzweiflung aber immerhin überzeugend verkörpern, ist die Leistung des jungen Vladimir Burlakov um so herausragender. Gerade in den diffizilen gefühlvollen Szenen, die bei übertriebener Interpretation leicht ins Kitschige abgleiten können, wirkt Burlakov erstaunlich souverän. Er knüpft damit nahtlos an die Leistung in Dominik Grafs Serie "Im Angesicht des Verbrechens" sowie vor allem seine Verkörperung des deutschrussischen Mafioso in dem Drama "Schurkenstück" an.

Enorm zur Authentizität des Films trägt auch die Fremdsprachlichkeit bei. Während in öffentlich-rechtlichen Auslandsgeschichten grundsätzlich alle Einheimischen fließend deutschen sprechen, wirkt die Rechtsprechung der türkischen Justiz erst recht willkürlich und ignorant, weil Familie Weiss kein Wort versteht. Nur so kann Betz auch auf einen Übersetzungsfehler in der ersten Anhörung hinweisen, der für den weiteren Verlauf der Anklage fatale Folgen hatte.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).