In Libyen ist die Weltgemeinschaft unter Zugzwang
Gaddafi holt zum Schlag gegen die Rebellenhochburg Bengasi aus. Ein Blutbad an Zivilisten droht. Fällt ihm die internationale Gemeinschaft rechtzeitig in den Arm?
17.03.2011
Von Gregor Mayer

Der Konflikt in Libyen droht zu eskalieren. Gaddafis Luftwaffe griff am Donnerstag bereits mehrere Ziele in der Umgebung der Aufständischen-Metropole Bengasi an. Die Attacken seiner Luftwaffe auf die umkämpfte Frontstadt Adschdabija sollen am Vortag das Leben von 30 Zivilisten gekostet haben. Während der UN-Sicherheitsrat in New York ein erneutes Mal zusammentrat, um über ein Flugverbot über Libyen zu beraten, fragten sich die Gegner des Diktators, denen er diesen Krieg aufgezwungen hatte, wie lange sie noch seiner tödlichen Luftüberlegenheit ausgesetzt sein würden.

Der Kriegsverlauf im libyschen Wüstensand reflektiert die Stärken und Schwächen beider Kontrahenten. Mit ihrer Überlegenheit an Waffen, mit ihren Kampfflugzeugen, Haubitzen und Panzern können die Gaddafi-Truppen die viel schlechter ausgerüsteten und kaum in disziplinierten Kampfformationen organisierten Rebellen vor sich hertreiben. Doch fehlt es ihnen an den Mannstärken, um ihre Eroberungen dauerhaft abzusichern. Im Osten Libyens, dessen Bevölkerung vom Diktator abgefallen ist, finden sie darüber hinaus auch ein feindliches Umfeld vor.

Libyscher UN-Botschafter: Gaddafi ist unberechenbar

Aber auch der Kampf in den Großstädten stellt für Gaddafis Garden ein Problem dar. Misurata, die zwischen den Gaddafi-Hochburgen Tripolis und Sirte gelegene drittgrößte Stadt des Landes, wird seit zwei Wochen auf brutale Weise belagert. Die Menschen dort haben kein Wasser und keinen Strom mehr. Artilleriebeschuss und Luftangriffe töteten viele von ihnen. Doch die Angreifer konnten sich bislang nicht entschließen, in die Stadt einzumarschieren. Denn dort droht ihnen der Häuserkampf. Außerdem ist nicht klar, wie das Regime mit Hunderttausenden ihm feindlich gesonnenen Bürgern umgehen soll.

Diese Frage stellt sich noch deutlicher im Falle Bengasis, das mit den Vorstädten rund 800.000 Einwohner hat. Selbst wenn es den Gaddafi-Truppen gelänge, die Front bei Adschdabija zu überrennen und die Piste, die nach Tobruk und an die ägyptische Grenze führt, unter ihre Kontrolle zu bringen, würde dies in eine gigantische Belagerung Bengasis münden. Eine Art Mega-Sarajevo auf arabisch, könnte man meinen.

Die schlimmsten Optionen sind deshalb noch nicht vom Tisch. Als oberster Kriegsherr ist der seit 42 Jahren sein Land knechtende Diktator unberechenbar. "Gaddafi hat den Verstand verloren. Er greift mit Kampfflugzeugen Zivilisten in dichtbewohnten Städten an", sagte der libysche UN-Botschafter Ibrahim Dabbashi, der sich vor einem Monat von Gaddafi losgesagt hatte. "Wenn die Weltgemeinschaft nicht sofort handelt, dann wird es einen furchtbaren Völkermord geben."

Kann die arabische Liga helfen?

Dabei wird zunehmend auch diskutiert, wie sich Libyens arabische Nachbarn an Aktionen gegen den Diktator beteiligen können. Der Vorstoß für das nun diskutierte Flugverbot kam immerhin von der Arabischen Liga, dem in früheren Zeiten heillos zerstrittenen Zusammenschluss von 22 arabischen Ländern. In Ägypten, das selbst erst im Vormonat das Joch eines autoritären Herrschers abgeschüttelt hatte, herrscht viel Sympathie für die Menschen in Libyen, die Gaddafi loswerden wollen. Das Nilland hat eine starke Luftwaffe und empfing über viele Jahre bedeutende amerikanische Militärhilfen.

US-Außenministerin Hillary Clinton traf vor zwei Tagen in Kairo den Chef des seit dem Sturz von Präsident Husni Mubarak regierenden Militärrates, Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi. Während ihr Rundgang über den Tahrir-Platz, das Epizentrum der ägyptischen Umwälzung, breites Medienecho fand, verlautete wenig über ihre Gespräche mit dem Feldmarschall. Am Donnerstag sagte sie der BBC: "Wir müssen noch Klarheit darüber gewinnen, mit welcher Art von arabischer Führung und Beteiligung wir rechnen können." Beobachter halten es nicht für ausgeschlossen, dass sie die Antwort schon kennt.

dpa