Atomausstieg: Die Tragik einer 25-jährigen Debatte
Die Reaktor-Katastrophe in Japan bewegt die Menschen weltweit. Viele fühlen sich erinnert an die Katastrophe von Tschernobyl - ein Ereignis, nach dem die Diskussion um Kernkraft schon längst in andere Bahnen hätte laufen können. Hans Diefenbacher, Beauftragter des Rates der EKD für Umweltfragen, über die Tragik der langen Debatte und das Beten für die Opfer des Unglücks in Japan.
17.03.2011
Von Hans Diefenbacher

Jeder Tag, zuweilen jede Stunde bringt neue dramatische und düstere Nachrichten aus Japan. Die Medien berichten fast ohne Unterbrechung, aber die Katastrophe ist ohne Beispiel, und deshalb kann keine noch so ausführliche Reportage den Menschen Sicherheit bringen über das, was geschehen ist und sich in den nächsten Wochen in Japan ereignen wird.

Uns, die wir von dieser Katastrophe nicht betroffen sind, kann es in diesen Tagen zunächst nur darum gehen zu überlegen, was wir tun können, um den Menschen in Japan zu helfen. Die schnelle Hinwendung zur deutschen Politik mag – jenseits aller politisch-strategischer Überlegungen – auch ein Ausdruck der Hilflosigkeit sein, ein Versuch, wenigstens das zu tun, was möglich ist.

Warum war ein Umdenken nicht früher möglich?

So sinnvoll und dringend geboten es auch ist, Kernkraftwerke schnell abzuschalten: dass es jetzt geschieht, endlich, hinterlässt ein eigentümliches Gefühl. Die Argumente pro und contra Kernkraft waren längst ausgetauscht, zum Teil seit Jahrzehnten. Die Synode der EKD hatte ihre ablehnende Position zur Kernenergie seit 1987 immer wieder und zuletzt im Herbst 2010 formuliert, als sie eine Rücknahme der Verlängerung der Laufzeiten empfahl.

Kernenergie ist aus Sicht der EKD-Synode "mit dem biblischen Auftrag, die Erde zu bebauen und zu bewahren, nicht zu vereinbaren", und weiter: "Zwar ist die Eintrittswahrscheinlichkeit eines großen Unfalls in einem Kernkraftwerk aus technischer Sicht sehr niedrig, doch steigt das Risiko großtechnischer Anlagen mit hoher Laufzeit wieder an. Das Schadenspotenzial eines solchen Unfalls wäre so groß, dass der weitere Betrieb solcher Anlagen nicht akzeptabel ist. Es gibt Alternativen der Energieversorgung."

Aber während sich eine solche Katastrophe abspielt, geht es nicht darum, wer nun recht hat oder wer sich durchsetzt. Angesichts des Leidens der Menschen in Japan müssen wir alle uns fragen, warum es uns in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht gelungen ist, den Dialog über diese Technologie auf andere Weise zu führen – in unserer Gesellschaft und auch international, so, dass ein Umdenken schon viel früher hätte entstehen können.

Die Wahrscheinlichkeit sagt nichts über den Zeitpunkt

Jahrzehntelang standen sich zwei grundsätzlich verschiedene Einstellungen zu den Risiken großtechnischer Anlagen gegenüber. Die einen gewichteten die Folgen eines Unfalls mit dessen Eintrittswahrscheinlichkeit. Für die anderen war schon immer die bloße Möglichkeit eines Schadens in derartiger Größenordnung ein Grund, nicht nach dieser Methode zu rechnen und die Verwendung der Technik auszuschließen.

Wir sehen nun in der Realität, was als theoretisches Wissen nie angezweifelt wurde, dass nämlich auch in einem hochindustrialisierten Land eine ausgefeilte Sicherheitstechnik durch Ereignisse wirkungslos wird, für die sie nicht ausgelegt ist. Und auch wenn die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Ereignisses als noch so niedrig berechnet wurde – nichts war damit über den Zeitpunkt ausgesagt, wann dieses Ereignis dann wirklich eintreten kann. Es ist tragisch, dass 25 Jahre nach Tschernobyl eine erneute Katastrophe notwendig war, damit diese Erkenntnisse in die politischen Entscheidungen Eingang finden.

In Gedanken bei den Opfern und den Helfern

Es ist viel zu früh, um ermessen zu können, welche Folgen auf die Menschen in Japan zukommen. "Wir glauben an die verändernde Kraft des Gebetes. Wir rufen zu Gott, er möge den Menschen in Japan beistehen." Präses Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der EKD, hat die Christinnen und Christen in Deutschland mit diesen Worten zum Gebet aufgerufen.

In seiner Predigt zur Eröffnung der diesjährigen Fastenaktion am letzten Sonntag sagte er: "Die Passionszeit fordert uns heraus zu Solidarität mit jedem leidenden Menschen. Und so sind wir in diesen Tagen bei denen, die bei der Erdbebenkatastrophe ihr Leben verloren haben. Wir stellen wir uns an die Seite derer, die um ihre Angehörigen bangen, deren Hab und Gut vernichtet wurde. Und unsere Gedanken sind bei all denen, die als Helfer das Menschenmögliche tun, um Leben zu retten."


Prof. Dr. Hans Diefenbacher ist Beauftragter des Rates der EKD für Umweltfragen und Leiter des Arbeitsbereichs "Frieden & Nachhaltige Entwicklung" an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST).

(Foto: Anne Jessen)