"Es widert mich an, was in der Europäischen Union passiert, diese ganze Haltung der EU widert mich an", rief der Vorsitzende der Liberalen im Parlament, der belgische Ex-Regierungschef Guy Verhofstadt. In der Oppositions-Hochburg Bengasi drohe "ein Massaker", wenn Gaddafis Truppen auch dort einmarschierten. "Helfen wir den Aufständischen im Moment, verteidigen wir sie, unterstützen wir sie mit Waffen oder einer Flugverbotszone und versuchen wir die Demokratisierung am Leben zu halten?", fragte er. Und antwortete: "Nein, die EU-Außenbeauftragte (Catherine Ashton) schickt Erkundungsmissionen nach Tripolis. Das tun wir. Es widert mich an."
Verhofstadt mahnte: "Entweder lassen wir Gaddafi gewähren und fügen der europäischen Geschichte ein weiteres düsteres Kapitel zu. Oder wir versuchen, es zu verhindern. Jetzt oder nie - ich hoffe auf Frankreich und Großbritannien und die USA, um etwas für ein freies Libyen zu tun."
Ohne die Zähne der Einzelstaaten bleibt die EU ein Papiertiger
Zahlreiche Abgeordnete unterstützten Verhofstadt. "Ich kann seine Wut gut verstehen", sagte Rebecca Harms für die Fraktion der Grünen. Eine Flugverbotszone über Libyen sei "eine vernünftige Forderung gewesen". Die EU habe sich weder im Fall Ägyptens noch bei Tunesien "richtig positioniert": Dieser Fehler werde jetzt "potenziert mit unserer Verweigerung, uns auf die richtige Seite zu stellen".
"Manches von dieser Kritik ist nicht fair", rief Barroso den Abgeordneten zu. "Sie sollten diese Kritik nicht an die EU, sondern an die Regierungen der Mitgliedstaaten richten. Das ist die Ohnmacht mancher Regierungen, nicht der EU." Die EU-Außenbeauftragte Ashton könne "keine gemeinsame Haltung vorlegen, wenn es keine gemeinsame Haltung der Mitgliedstaaten gibt".
Auch Van Rompuy verwahrte sich gegen Kritik: "Nur weil ich nicht emotional zu sein scheine, bedeutet das nicht, dass ich nicht wütend bin." Die EU müsse "legal" handeln: mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrates und Billigung der Arabischen Liga. "Die Tatsache, dass ich dazu keine weitere Details bekanntgebe, bedeutet nicht, dass wir nicht intensivst an dieser Frage arbeiten."
Westerwelle gegen militärische Einmischung
Auch Deutschland ist gegen ein militärisches Eingreifen in Libyen, wie Bundesaußenminister Guido Westerwelle in einer Regierungserklärung deutlich machte. Die vermeintlich einfache Lösung werfe "mehr Fragen und Probleme auf, als sie zu lösen verspricht", betonte er am Mittwoch im Bundestag.
In seiner Regierungserklärung zu den Umbrüchen in der arabischen Welt sagte Westerwelle, eine Flugverbotszone über Libyen durchzusetzen sei nichts anderes als eine militärische Intervention: "Wir wollen und dürfen nicht Kriegspartei in einem Bürgerkrieg in Nordafrika werden." Der Politiker warb für eine Verschärfung der internationalen Sanktionen gegen das Gaddafi-Regime und drohte dessen Mitgliedern mit dem internationalen Strafgerichtshof. Der Diktator müsse für den Feldzug gegen sein eigenes Volk zur Rechenschaft gezogen werden, betonte er.
Frankreich und Großbritannien für Flubverbotszone
Die Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi haben unterdessen am Mittwoch die Städte Misurata und Adschdabija unter schweres Feuer genommen, allerdings geriet die Offensive der Gaddafi-Truppen gegen die libyschen Rebellen ins Stocken. Der frühere Innenminister Abdulfattah Junis, der sich den Rebellen angeschlossen hat, sagte im Nachrichtensender Al-Arabija, die "Revolutionäre" hätten in Adschdabija am Vortag Dutzende Soldaten getötet und Dutzende weitere gefangen genommen.
Der UN-Sicherheitsrat wollte am Mittwoch über den vom Libanon vorgelegten Resolutionsentwurf über ein Flugverbot für Gaddafis Luftwaffe beraten. Das am Dienstagabend vorgelegte Papier soll ein militärisches Eingreifen in Libyen ermöglichen. Frankreich und Großbritannien hatten seine Formulierung maßgeblich beeinflusst. Neben einer Flugverbotszone enthält der Entwurf weitere Maßnahmen wie Landeverbote für libysche Zivilflugzeuge und ein strikteres Handelsembargo.