Fukushima bringt Atomfreund Obama in die Klemme
Viele Amerikaner unterstützten Obamas Ausbaupläne, doch die Nuklearkatastrophe in Japan stellt die Atomkraft-Renaissance in den USA infrage. Muss der Präsident umdenken?
16.03.2011
Von Gabriele Chwallek und Marco Mierke

In den USA herrscht ein Ansturm auf Jodtabletten. "Wir haben in den vergangenen drei Tagen mehr verkauft als in den vergangenen drei Jahren", sagt Jim Small, Amerika-Präsident der schwedischen Firma Recipharm. Nicht nur, dass bei Bewohnern der US-Westküste die Sorge herrscht, dass eine radioaktive Wolke aus Japan das Festland erreicht und ihnen Schilddrüsenkrebs beschert. Nach Angaben von Herstellern rüsten sich viele Käufer auch für den Fall einer heimischen Atomkatastrophe.

Das Schreckgespenst des GAU ist auch in den USA wieder da, just zu einem Zeitpunkt, da hier die Atomkraft wieder eine Renaissance erlebt hat. Und das könnte Präsident Barack Obama Probleme bereiten. Jetzt hat er es mit einer neuen Atomdebatte zu tun, die seinen ehrgeizigen Energiepläne in die Quere können könnten.

Obama ist ein ausgesprochener Verfechter der Kernkraft. Der Ausbau des Netzes von derzeit 104 alten und alternden Reaktoren, die rund ein Fünftel der US-Elektrizität produzieren, gehört zu den Säulen seiner Energiepolitik. Atomstrom, so argumentiert er, ist sauber - schon jetzt werden 70 Prozent der sauberen Energien in den USA durch Kernkraft erzeugt. Und: Je mehr daheim produziert wird, desto geringer die Abhängigkeit von ausländischem Öl.

"Höchste Sicherheitsstandards"

Derzeit liegen der US-Atomregulierungsbehörde NRC 20 Anträge auf den Bau neuer Reaktoren vor. Zwischen 2016 und 2020 sollen nach den bisherigen Plänen die ersten ans Netz gehen. Die Obama-Regierung hat der Industrie bereits milliardenschwere Kreditgarantien gegeben. Sie konnte es sich erlauben: Rund 30 Jahre nach dem Atomunfall von Harrisburg war das Vertrauen der Bevölkerung in die Atomkraft allmählich wieder gewachsen. Bei einer Umfrage im vergangenen Jahr waren 62 Prozent dafür.

Und nun Fukushima. Die US-Regierung verspricht Sicherheitsüberprüfungen, bleibt aber bisher bei ihrer Linie. Sie versucht, Sorgen vor allem angesichts des Alters ihrer Kernkraftwerke zu zerstreuen. Diese erfüllten "höchste Sicherheitsstandards", sagt Energieminister Steven Chu, könnten solche Erdstöße und Tsunamis wie die in Japan aushalten. Das klingt für viele vertraut, im negativen Sinne. Ähnlich optimistisch hatte sich die Obama-Regierung auch über die Sicherheit bei den Tiefsee-Ölbohrungen geäußert. Dann kam es zur verheerenden Katastrophe im Golf von Mexiko.

So äußern sich auch Obama-Verbündete in der Energiepolitik plötzlich deutlich skeptischer. "Ich denke, wir sollten schnell und geräuschlos auf die Bremse treten, bis wir verstehen können, was in Japan passiert ist", warnte der parteilose Senator Joe Lieberman. Seine größte Sorge: Rund zwei Dutzend der US-Reaktoren ähnelten denen im Unglücks-Kraftwerk Fukushima stark.

Alte Anlagen

Viel besorgniserregender ist für viele Amerikaner das Alter der Atommeiler. Nahezu alle Kraftwerke sind länger als vier Jahrzehnte am Netz. Seit dem Atomunfall von Harrisburg 1979 wurde kein neues Atomkraftwerk mehr genehmigt. Zum Vergleich: In Deutschland werden als Konsequenz aus der Katastrophe in Japan zunächst alle AKW abgeschaltet, die vor 1980 entstanden.

Zudem läuft in den US-Kraftwerken, anders als von der mächtigen Atomlobby gerne geschildert, längst nicht alles rund. Regelmäßig kam es seit Harrisburg zu schweren Zwischenfällen. Erst vor wenigen Wochen trat aus einem fast 40 Jahre alten Kraftwerk im Staat Vermont radioaktiver Stoff ins Grundwasser aus. Wenige Jahre zuvor war hier schon ein Kühlturm in sich zusammengefallen. Die Atombehörde wollte die Lizenz für das Kraftwerk eigentlich verlängern, beschloss aber wegen der Katastrophe in Japan, lieber noch einmal gründlich darüber nachzudenken.

Erdbeben "überfällig"

Was die Kraftwerke tatsächlich aushalten, wird sich wahrscheinlich am ehesten in Kalifornien zeigen. Hier stehen zwei Atommeiler mit fünf Reaktoren in der Nähe des berüchtigten San-Andreas-Grabens, einer knapp 1300 Kilometer langen Verwerfung. Experten sind sich sicher, dass es hier zu einem schweren Erdstoß kommt - der sogenannte "Big One" sei eigentlich schon überfällig.

Kein Wunder also, dass Experten jetzt vor allem die Sicherheit dieser Kernkraftwerke unter die Lupe nehmen. Nicht jeder von ihnen glaubt dem NRC-Chef Gregory Jaczko, der überzeugt ist: "Alle unsere Werke sind so angelegt, dass sie bedeutenden Naturphänomen standhalten können."

dpa